Mallorca Schattengeschichten
hörten sie das erste Grollen näherkommen. »Nur noch acht Kilometer«, frohlockte Julia, nachdem der Donner dem Blitz folgte und sie die Sekunden gezählt hatte.
Die ersten Regentropfen platschten auf die Erde. Nur einen Moment später schüttete es, ein peitschender Wind ergänzte das Szenario. Lachend sprangen beide auf und stürmten ins Haus.
»Okay, dann also Kino von drinnen«, sagte Peter.
Um sie herum blitzte und donnerte es ohne Unterlass.
Direkt vor ihrer Terrasse flammte ein gleißendes Licht auf, und ein Höllenschlag erschütterte das Haus.
»Das ganze Haus wackelt«, schrie Julia.
»Das war bestimmt nur die Druckwelle«, beruhigte sie Peter.
Den nächsten Donnerschlag begleitete das laute Klacken der Sicherung im Kasten.
Julia rannte hin und entdeckte die herausgesprungene Hauptsicherung. Gut so. Die lasse ich auch besser draußen, dachte sie. Da blitzte es wieder, und ein Donner grollte; es klackte erneut. »Peter, komm! Die Hauptsicherung ist draußen, und trotzdem fallen auch die anderen raus.«
Verwundert schaute Peter in den Sicherungskasten.
Beim nächsten Blitzschlag leuchteten kurz alle Lampen um sie herum auf.
»Uups!«, rief Peter. »Was geht denn hier ab?«
Julia rannte in die Küche, riss den Stecker der Kaffeemaschine raus, flitzte weiter ins Wohnzimmer und zog alle Stecker, die sie erreichen konnte.
Draußen tobte das Inferno.
»Du, meine Begeisterung für Gewitter lässt gerade gewaltig nach. Ich habe richtig Angst«, sagte Julia mit zittriger Stimme und lehnte sich an Peter.
Nach einer halben Stunde verklang das Grollen, die Gewitter entfernten sich. Peter und Julia traten auf die Terrasse, auf der das Wasser immer noch knöchelhoch stand.
»Was zischt hier denn so?« Julia drehte den Kopf.
Peter trat einen Schritt zur Seite. »Ich glaube, das ist die Waschmaschine.« Er öffnete langsam die Holztür vor dem Gerät. Stinkender Rauch waberte heraus. »Oh Mann, die ist hin.«
Julia griff nach seiner Hand. »Ich rufe gleich morgen die Versicherung an.«
Am nächsten Tag kam Juan, der Elektriker aus Inca, zu Besuch. »Na, das war gestern was, oder?«, begrüßte er die beiden.
»Danke! Ich mag Gewitter, aber das war mir echt zu heftig«, antwortete Julia.
»Na, das ist bei euch auch kein Wunder. Immerhin werden hier in Son Fred die meisten Blitzeinschläge der Insel gezählt. Es gibt einen unterirdischen See, der von Inca bis hierher reicht, und der zieht die Blitze magisch an. Euer Haus ist zudem fast am höchsten Punkt des Sees.«
»Na toll, das hat uns bisher niemand gesagt«, erwiderte Peter.
»Was glaubt ihr, warum hier der Talayot entstanden ist?«, fragte Juan. »Schon damals gab es sensible Menschen, die spürten, wenn bestimmte Orte eine magische Kraft ausstrahlten. Dort hielten sie Rituale ab.«
»Prima, dann bleibt uns nur, die Stecker zu ziehen, wenn ein Gewitter kommt, und zu hoffen, dass die Hausratversicherung uns nicht rausschmeißt.«
Julia grinste. »Möchte jemand Kaffee? Die Maschine konnte ich gestern gerade noch retten.«
Tiempo de plomo / Bleizeit
Gabriellas Liebe zu Bernard war erloschen. Schon lange. Daran hatte auch der Umzug ins idyllische Weindorf Binissalem nicht das Geringste geändert. Bei der Hochzeit vor fünfzehn Jahren hatte sich der Altersunterschied noch nicht bemerkbar gemacht. Gabriellas Meinung nach agierte der dreiundsechzigjährige Bernhard jedoch mittlerweile wie ein Rentner auf Urlaub, während Gabriella, mit ihren fünfundvierzig, noch mal richtig loslegen wollte. Sie hatte Pläne. Segeln lernen, wieder reiten, ausgehen und vieles mehr.
Bernhard hingegen, den sie noch ab und zu fragte, ob er nicht auch im Sommer mit zur Segelschule wolle, meinte nur: »Ach, mein Herz, geh du besser alleine, das ist mir zu anstrengend. Was man da alles lernen muss, und dann mit anderen Menschen auf einem Boot ... du weißt doch, ich bleibe lieber zuhause und entspanne mich.«
Entspannen! Kommt kurz vor Sterben, dachte sich Gabriella, während sie ihn bitter anlächelte.
Man sah Bernhard nicht an, dass man ihm vor einigen Jahren eine Niere entfernt hatte. Eine gewisse Gesichtsblässe trug er jedoch immer mit sich herum. Grund dafür war eine lange unbehandelte Hepatitis, die er sich beim Verzehr seiner heiß geliebten Muscheln zugezogen hatte.
Gabriella strotzte vor Gesundheit. Sie hatte nur ein Problem: Erdnüsse! Wenn sie wusste, dass sie auswärts essen würde, nahm sie ihr Antihistaminspray mit, um im Notfall sofort die
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