Malory
»Du glaubst, du kannst mich mit der Geschichte, die du mir erzählst, dazu zwingen, dich morgen abend zu diesem Ereignis zu begleiten.
Daraus wird nichts, meine Liebe.«
Sein kolossales Ego würde ihr den Todesstoß geben, soviel stand fest. Dieser eingebildete Kerl! Er konnte einfach nicht glauben, daß sie ihm einen anderen vorziehen könn-te.
Nicholas zog überraschet seine dunklen Augenbrauen hoch, und Selena stellte entsetzt fest, daß sie ihre Überlegungen laut ausgesprochen hatte. Sie war schockiert, aber dann festigte sich ihre Entschlossenheit.
»Es ist nun mal wahr«, sagte sie dreist, und sie entfernte sich von ihm und ging wieder auf das Feuer zu, dessen Hitze es fast mit ihrem glühenden Zorn aufnehmen konnte. Er hatte es nicht verdient, geliebt zu werden.
»Es tut mir leid, Nicholas«, sagte sie nach einer Weile, aber sie wagte es nicht, ihn anzusehen. »Ich wollte unser Verhältnis nicht im Unfrieden beenden. Du warst wirklich wunderbar - die meiste Zeit jedenfalls. Meine Güte«, seufzte sie. »Darin bist du wirklich ein Experte. Besser geht es doch nicht, oder?«
Nicholas hätte fast laut gelacht. »Für einen Amateur ist es nicht schlecht, meine Liebe.«
»Gut«, sagte sie fröhlicher und riskierte einen Seiten-blick auf ihn. Er sah sie mit einem breiten Grinsen an. Verdammt noch mal, er kaufte ihr die Geschichte immer noch nicht ab. »Zweifle ruhig an mir, Lord Montieth, aber du wirst es ja selbst sehen, stimmt's? Du solltest nur nicht allzusehr überrascht sein, wenn du mich mit meinem neuen Begleiter siehst.«
Sie wandte sich wieder dem Feuer zu, und als sie sich das nächste Mal zu ihm umdrehte, war er verschwunden.
2.
Das Haus der Malorys am Grosvenor Square war hell erleuchtet, und die meisten Bewohner hielten sich in ihren Schlafzimmern auf, um ihre Vorbereitungen für den Ball des Herzogs und der Herzogin von Shepford zu treffen.
Die Dienstboten waren geschäftiger als sonst und liefen von einem Ende des Hauses ans andere.
Lord Marshall wünschte eine entschieden besser ge-stärkte Krawatte. Lady Clare wollte einen kleinen Snack.
Sie war den ganzen Tag über zu nervös gewesen, um etwas zu essen. Lady Diana brauchte einen heißen Punsch zur Beruhigung. Man mußte ihr zugute halten, daß es ihre erste Ballsaison und zudem noch der allererste Ball war.
Sie hatte seit zwei Tagen nichts mehr gegessen. Lord Travis brauchte Hilfe, weil er sein neues Rüschenhemd nicht fand. Lady Amy benötigte nichts weiter als Aufmunte-rung. Sie war die einzige in der ganzen Familie, die noch zu jung war, um den Ball zu besuchen, selbst einen Mas-kenball, auf dem sie ohnehin niemand erkannt hätte. Wie gräßlich es doch war, fünfzehn zu sein!
Als einzige Person, die kein Kind des Hauses war, machte sich Lady Regina Ashton für den Ball fertig. Lord Edward Malorys Nichte und eine Kusine ersten Grades seiner
umfangreichen
Nachkommenschaft.
Natürlich
hatte Lady Regina eine eigene Zofe, die sie bediente, wenn sie etwas brauchte, aber offensichtlich brauchte sie nichts, denn niemand hatte die beiden in der letzten Stunde auch nur gesehen.
Seit Stunden war das Haus ein geschäftiger Bienen-stock. Lord und Lady Malory hatten wesentlich eher begonnen, sich zurechtzumachen, da sie zu dem offiziellen Bankett eingeladen waren, das vor dem Ball für einige Auserwählte veranstaltet wurde. Sie hatten das Haus vor rund einer Stunde verlassen. Die beiden Malory-Söhne würden ihre Schwester und ihre Kusine begleiten, eine große Verantwortung für die jungen Männer, von denen einer gerade aus der Universität kam, wogegen der andere sie noch besuchte.
Marshall Malory hatte sich gar nicht darauf gefreut, die weiblichen Familienangehörigen zu dem Ball zu begleiten, bis heute ganz unerwartet eine Freundin darum gebeten hatte, in der Kutsche der Familie Malory mitfahren zu dürfen. Er war überglücklich über das Ansinnen dieser speziellen Dame.
Hals über Kopf hatte er sich in sie verliebt, als er sie im letzten Jahr während der Semesterferien erstmals getroffen hatte. Damals hatte sie ihn in keiner Weise ermutigt.
Aber jetzt hatte er die Schule hinter sich gebracht und war einundzwanzig Jahre alt, ein vollwertiger Mann. Ja, wirklich, schließlich konnte er jetzt sogar einen eigenen Haus-stand begründen, wenn er das beabsichtigte. Er konnte eine gewisse Damé fragen, ob sie ihn heiraten wollte. Wie wunderbar es doch war, endlich volljährig zu sein!
Lady Clare dachte ebenfalls über Altersfragen
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