Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern
lässt, es ist kein prüfender Blick, sie wartet nur ab, wie es mir geht, und auf einmal sacke ich ihr entgegen und liege mit dem Kopf auf ihrer Schulter, die auch schmal und knochig ist, sie riecht gut, sie riecht nach nichts. Sie fasst mich nicht an, sie legt nur den Arm leicht um mich, so dass ich ihn gleich abschütteln könnte, aber ich will gar nicht. Es ist gut so, ich höre meinen Herzschlag und den leisen Atem der Fremden, ich will sogar, dass sie mich noch fester umarmt, dass sie mich hält und meine Haare streicht und mir über das Gesicht streichelt, aber das wäre wohl zu viel verlangt von einer Fremden, und da höre ich schon an der Schiebetür jemanden sehr deutlich sagen, Personalwechsel, Fahrkarten bitte. Erschrocken fahre ich hoch, das Personal, das ausgewechselt wurde, bin ich, aber das ist nicht korrekt, ich begleite den Zug bis Hamburg. Meine Nachbarin schaut mir zu dabei, wie ich mich aufrichte, den Kragen zurechtzupfe, sie sagt nichts, sie beobachtet mich wie jemand, der nichts zu verlieren und nichts zu gewinnen hat.
Der Kollege arbeitet sich voran, ich habe ihn noch nie gesehen, obwohl ich schon mit vielen Kollegen unterwegs war, man trifft sich in den Kantinen, den Warteräumen, manchmal auch in Hotellounges, mit einigen war ich im Bett. Er wirft Blicke auf Fahrkarten, Personalwechsel, die Bahncard bitte, die Mastercard bitte, er beugt sich nach links und rechts, ich sehe das Namenschild an seinem Jackett: P. Matt. Schon ist er bei der Reihe vor uns, hat mich entdeckt und nickt mir zu. Meine Nachbarin zeigt ihre Karte, sie fährt bis nach Hamburg, und P. Matt nickt wohlwollend und stempelt die Karte noch einmal, sie darf nach Hamburg, es ist alles in Ordnung, auch ich darf fahren, wohin ich will, er braucht keine Fahrkarte, wir sind Teil einer Familie, er hat mich zwar abgelöst, aber ich gehöre immer noch dazu und darf nun aussteigen, und P. Matt tritt nickend neben die nächste Reihe.
Ich steige aus, sage ich zu meiner Nachbarin.
Sie nickt und schaut mich an. Vielleicht wartet sie auf eine Erklärung oder eine Entschuldigung.
Ich habe kein Gepäck, sage ich, und dann sage ich noch, als ich schon aufgestanden bin, danke, leise und rasch sage ich das und traue mich plötzlich nicht mehr, sie noch einmal anzuschauen, aber mit jedem Schritt, den ich von ihr weggehe, vermisse ich sie mehr.
Als ich in Frankfurt aussteige, lehnt P. Matt in der Zugtür.
Wohnst du hier, fragt er und zwinkert mir zu.
Hotel Dreikronen, sage ich, willst du mitkommen.
Ich muss hier mitfahren, lacht er, du weiÃt ja. Vielleicht auf dem Rückweg.
Ja, rufe ich, auf dem Rückweg, komm ruhig vorbei, und dann rufe ich noch lauter, weil sich schon die Türen schlieÃen, komm auf jeden Fall vorbei, ich freue mich, aber ich weià nicht, ob er das noch gehört hat, und ich bleibe stehen und lasse den Zug an mir vorbeigleiten, ich würde gern meine Nachbarin noch einmal sehen, aber ich weiÃ, dass die Scheiben verspiegelt sind und es keinen Sinn hat, das Gesicht an das Glas zu pressen. Der Bahnsteig schimmert nicht, sondern ist aus stumpfem Beton, und ich höre alles, sogar das Schnarren der Tauben, die längst abgeschafft sind.
Ein schwarzer Stein
Wir sind zu spät, sie liegt schon im Sterbezimmer.
Wir ziehen uns die weiÃen Kittel über, die den Besuchern auf der Intensivstation sofort etwas feierlich Aufrechtes verleihen, sie straffen sich und müssen Haltung annehmen, weil sie gleich an der Reihe sind, ein Klappstuhl neben dem Krankenbett, neben dem Sterbebett. Nur die Kittel mit den Bündchen an den Ãrmeln sehen tantenhaft aus, und die Knöpfe kann man nicht selbst schlieÃen, weil die Knopflöcher sich in den zahllosen Kochwaschgängen zusammengezogen haben und die Knöpfe nicht hindurchgehen, da kannst du machen, was du willst, du musst dir helfen lassen von den anderen, die alle warten auf ihre Stunde am Bettrand, alle blass oder rot und geschwollen, manche weinen. Eine Frau zupft sich immer wieder an der Nase, als gäbe es da etwas wegzuwischen, aber sie heult gar nicht, vielleicht ein Jucken, vielleicht ist es besser als Schreien. Ein paar Fotos hält sie in der Hand, die will sie mitbringen, Blumen gehen nicht, gar nicht erlaubt hier unten, das kein Unten ist, man geht keine Treppen, alles ebenerdig vom Eingang aus, und doch denkst du: ein Keller, ein Laboratorium, die vielen schweren Türen, die
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