Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern
hinsetzen und die Augen schlieÃen, aber ich kann die Beine nicht einknicken, ich habe keine Knie mehr. Ich gehe mit steifen Beinen unter den Lindenbäumen entlang, ich spüre, wie sie in den Hüftgelenken hin und her kugeln, als seien sie aus Kunststoff.
Die Kerze neben dem Bett meiner Mutter brennt nicht, ich dachte es nur, als wir eintraten, aber niemand hat sie angezündet, meine Mutter liegt da in ihrem weiÃen Klinikhemd ganz ohne Kerze, und das ist empörend, nein, es ist mehr als das, es ist unfassbar. Untragbar, sage ich, und mein Bruder nickt, ich muss es nicht erklären, er weià sofort, was ich meine, er legt eine Hand auf den Arm meiner Mutter und passt auf, während ich zu den Schwestern gehe, aber im Stationszimmer ist niemand. Ich weià nicht, wo sie sich herumtreiben, kein Notfall weit und breit, also kein Grund, nicht für mich da zu sein, aber es geht nicht um mich, es geht um die Kerze, die schon längst hätte brennen müssen. Ich klopfe an die Tür, obwohl keiner drin ist, ich kann ja schlecht herumschreien, ich klopfe also, und als immer noch keiner kommt, schlage ich zweimal gegen die Tür, und das kann keiner überhören. Aber die Schwester, die kommt, sagt nichts, sie schimpft nicht, es könnte die gleiche sein, der ich das Bild meiner Mutter gezeigt habe, sie schaut mich fragend an, und ich habe vergessen, warum ich gekommen bin. Ich senke den Blick und schaue auf den grünlich gemaserten Linoleumboden, und da fällt es mir ein, haben Sie vielleicht Streichhölzer. Sie greift gleich in die Kitteltasche und holt ein Feuerzeug hervor, ich habe es geahnt, sie hat eine Zigarettenpause gemacht, nun sehe ich auch die eckige Form der Zigarettenschachtel, die sich unter dem Stoff abzeichnet, ich glaube nicht, dass Sie das dürfen, sage ich plötzlich und fahre mir über die Stirn, nass ist mein Gesicht, als hätte ich es in den Regen gehalten. Die Schwester sagt nichts, sie reicht mir einfach das Feuerzeug, und wir zünden im Trauerzimmer die Kerze an und dimmen das Licht, und als mein Bruder und ich uns gerade neben unsere Mutter setzen wollen, springe ich wieder auf. Der glatte schwarze Stein fehlt, der auf dem Nachttisch meiner Mutter lag und auch hier auf dem Beistelltisch neben ihrem Bett, ich weià es genau, er fiel mir ins Auge, weil in dem weiÃen Zimmer alles ins Auge fiel, das nicht weià war, ihre Uhr, die man ihr abgenommen hatte, als sie die Zeit nicht mehr wusste, und ein Buch, in dem sie nicht mehr hat lesen können, und eben dieser Stein, ich will ihn zurück. Ich ahne, dass mein Benehmen unpassend ist, erst die Streichhölzer, jetzt der Stein, aber ich muss den Stein jetzt sofort haben, es könnte ja sein, dass sie ihn sonst wegschmeiÃen, so wie sie natürlich alles wegschmeiÃen, das nicht mehr gebraucht wird, warum sollte jemand einen schwarzen Stein aufbewahren. Meine Mutter hat diesen Stein fünfzig Jahre lang gehütet, er stammte vom Strand einer kleinen griechischen Insel, Liebesort meiner Eltern auf ihrer ersten Reise in die Ferne, eine Fähre am Tag, Schwimmen, ihre alten Freunde lernten sie dort kennen, ich muss diese alten Freunde anrufen, so wie ich alle alten Freunde meiner Mutter und meines schon lange gestorbenen Vaters anrufen muss, ich habe ja die Nummern gar nicht, ich habe nicht einmal angefangen mit allem, was zu tun ist, aber ohne den Stein kann ich gar nicht anfangen.
Wieder eile ich auf den Gang hinaus, zum Stationszimmer, nun ist auch der diensthabende Arzt da und kommt auf mich zu, aber ich will gar nicht hören, warum meine Mutter gestorben ist, er kann sich das alles sparen, ich will den Stein und steuere am Arzt vorbei direkt auf die Schwester zu, die im Türrahmen steht, der Stein, sage ich, wo ist er. Die Schwester schaut den Arzt an und schüttelt leicht den Kopf, der Arzt schiebt einen Stuhl für mich mitten in den Raum und sagt sehr ruhig, nun setzen Sie sich doch erst einmal, aber ich bleibe stehen und starre die Schwester an, die endlich versteht, dass wir den Stein in unser aller Interesse nun sofort finden müssen, und sie verschwindet. Also, sagt der Arzt einleitend, aber ich dränge an ihm vorbei, ihr hinterher, sie geht den Gang entlang, am Trauerzimmer vorbei, am Zimmer meiner Mutter vorbei, ich verstehe das nicht, wo will sie denn den Stein suchen, wenn nicht dort, und ich will schon rufen, aber dann sehe ich, dass über einem ganz anderen
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