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Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern

Titel: Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Pehnt
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ist.

    Beistand, ich brauche eine Liturgie, wann ist die Beerdigung, ich brauche einen Engel. Es geht ohne Gott, aber nicht ohne Engel. Das sage ich dem Pfarrer, der mit mir den Gottesdienst durchspricht, eine Liturgie kann er uns ja geben, dafür ist er doch da, und er sagt: Aus Worten entsteht manchmal ein Weg. Welcher Weg denn und welche Worte, aus Worten, sage ich ihm, entsteht meiner Erfahrung nach sehr selten ein Weg, Worte verstellen Wege, wissen Sie, das ist meine Erfahrung.
    Warum sagen Sie das, fragt er. Wahrscheinlich wundert er sich, dass ich ihn dann überhaupt bitte, einen Gottesdienst zu halten, der ja in meiner Kirche vor allem aus Worten besteht, oder er fragt sich, warum ich so gegen Worte bin, oder er fragt einfach, damit das Gespräch in Gang bleibt. Er hat einen großen Körper und ist angespannt, er sitzt trotz seines Gewichtes auf der Stuhlkante und hat die Hände auf die Oberschenkel gestemmt, als wolle er sich gleich mit einer heftigen Bewegung hochdrücken. Seine halblangen Locken sind unten ausgefranst, er sieht abgenutzt aus, als bräuchte auch er Beistand. Worte, sage ich, sind so nutzlos, ich brauche einen Engel. Ich sage das halb scherzhaft, im Ton eines kleinen Mädchens, das gewohnt ist zu kriegen, was es braucht, und nun eben einen Engel, der mich schweigend anschaut, dass ich weiß, er kennt mich, ich muss nichts sagen, länger als sogar meine Mutter mich kennt, aber es ist kein Scherz, es ist genauso gemeint, und ich habe ein Anrecht.
    Der Pfarrer sagt nichts, er kann mir ja auch kaum einen Engel versprechen, er kann mir nur versprechen, mit mir darüber zu reden, aus Worten, glaubt er ja, entstünde ein Weg, dass ich nicht lache. Es ist nicht zum Lachen, aber glaubt er denn, Christus hätte geredet im Garten Gethsemane oder am Kreuz? Er hat das letzte Wort, sagt man, aber das glaube ich nicht, ich glaube, am Ende vertrocknen die Worte, auch meine Mutter hat nicht mehr viel gesagt. Ich glaube, auch dieser Pfarrer hat keinen Engel, er ist seit zwanzig Jahren Gemeindepfarrer in diesem Stadtteil, er muss müde sein, aber müder als ich kann er nicht sein, ich bin so müde, dass ich nicht zur Straßenbahn werde gehen können, wenn mein Trauergespräch beendet ist, ich werde auch nicht trauern können, ich bin gar nicht mehr traurig, wir haben es uns aufgeteilt. Mein Bruder ist weinend zurückgefahren ins Haus unserer Mutter, und ich bin zum Pfarrer gefahren, obwohl anderes wichtiger gewesen wäre, der Bestatter zum Beispiel, wir müssen ihn anrufen und alles besprechen und unterschreiben, aber ich bin zum Pfarrer, und er ist zum Haus, und wir haben uns die Trauer aufgeteilt, er ist dran, er übernimmt für mich, und ich sitze auf der Wildledercouch im Gemeindebüro und wünsche mir den Engel. Aber das ist schon wieder vorbei.
    Ich wünsche nichts.
    Ich sitze da und starre den Pfarrer an, der besorgt und etwas zerzaust zurückschaut, bis wir weiterreden können. Es reicht nur noch für Termine, die Müdigkeit steigt in meinem Körper hoch, sie füllt schon den ganzen Brustraum aus und nun auch die Kehle und presst sich von innen gegen mein Gesicht, ich kann die Zunge nicht mehr bewegen, meine Augen wölben sich von innen gegen die Augenlider, die Augenlider sinken. Ich erhebe mich sehr langsam und mache zwei kleine steife Schritte auf den Pfarrer zu, der noch sitzt und von unten zu mir hochschaut: Wenn ich etwas für Sie tun kann.
    Nein, sage ich, danke, was sollte das sein, ich spreche langsam wie eine Gelähmte, aber er versteht trotzdem, er nickt und schiebt mich hinaus, weil ich sonst sicher stehen geblieben wäre auf seinem hellen Naturteppich, der mich an den Teppich im Wohnzimmer meiner Mutter erinnert, an die dreckigen Schafe in Schottland, als wir herumgereist sind, meine Mutter und ich, die Schafe bis zum Bauch in durchgeweichten Wiesen, die Stechmücken standen in flachen Wolken über dem Land, meine Mutter stachen sie überall, wo kein Stoff war. Wir bleiben ja in Kontakt, sagt er und schließt die Tür des Gemeindebüros, nicht weil er mich loswerden will, sondern weil er zu tun hat und glauben muss, dass auch ich zu tun hätte, und er hat ja recht.
    Aber ich kann meine Beine nicht bewegen. Ich lehne an der Wand, die Linden an der Kirche blühen so heftig, dass Honig in der Luft hängt, der Berufsverkehr wie ein Wasserrauschen, das an- und abschwillt, ich könnte mich kurz

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