Mandels Buero
Segeln versuchte er es erst gar nicht, sondern machte gleich den Motor an.
Es war ein trüber Tag, ich hatte das Gefühl, es müsste jeden Moment anfangen zu hageln.
Der Edelstein drückte jedem von uns eine Flasche holländisches Bier in die Hand und steuerte dann das Boot auf dem See herum. Der Mandel, ich und der Neumann saßen im Halbkreis hinter dem Edelstein auf einer Holzbank.
»Wohin fahren wir denn?«, fragte der Mandel.
»Ich dachte, wir fahren mal rüber nach Bad Saarow. Da können wir im Café Dorsch was essen. Den gebackenen Schafskäse kann ich empfehlen. Chutney-Senf-Dressing auf Feldsalat. Hat was«, sagte der Edelstein.
»Es ist gut, dass wir uns mal unterhalten können«, sagte der Neumann, und ich musterte ihn. Ich hatte nämlich noch nie einen echten Rechtsextremen getroffen. Noch nicht einmal einen Rechten. Vielleicht mal aus der Entfernung gesehen. Auf der anderen Straßenseite. Und im Fernsehen. Aber noch nie so nah. Ich fragte mich, ob Leute wie der Neumann vielleicht depressiv waren. Klinisch depressiv. Dass einen das Leben oder die schwere Kindheit so in die Knie gezwungen hat, dass man zum Revisionisten und Extremisten wird. Das war doch die einzig plausible Erklärung, warum er so lange bei den Nationalen gewesen war und jetzt der Vorsitzende der Kulturfreunde des Nordens, eines »Vereins zur Pflege historisch deutscher Werte«, was immer damit auch gemeint war. Obwohl er gar nicht deprimiert aussah, muss ich zugeben.
»Ja, trifft sich gut«, sagte der Mandel.
»Die beiden ermitteln im Auftrag der Plattenfirma wegen den Aufnahmen«, sagte der Skipper Edelstein, der sich kurz von seinem Steuerrad zu uns umgedreht hatte. Fehlte noch, dass er sich eine Kapitänsmütze aufsetzte.
»Sehr schön«, sagte der Neumann.
Jeden Tag läuft mindestens eine Dokumentation über den Zweiten Weltkrieg im Fernsehen, dachte ich. Man kann also gar nicht in den Fernseher schauen die Woche über, ohne mit dem Holocaust aneinanderzugeraten. Das muss doch einem wie dem Neumann zu denken geben, wenn man das im Nachhinein sieht.
»Wir haben uns gefragt, ob Sie oder Ihr Verein etwas mit dem Verschwinden von Aufnahmen des ermordeten Leo Tilmann zu tun haben«, sagte der Mandel.
»Wie kommen Sie darauf?«, fragte der Neumann sanft.
»Die Verrückten haben mir einen Peilsender ans Auto geklebt«, sagte der Edelstein vom Steuerrad aus und lachte.
»Sie sind ja bestens ausgerüstet«, lobte der Neumann.
»Danke«, sagte der Mandel.
»Vielleicht entstand durch das geplante Album von Herrn Tilmann ja ein Interessenkonflikt mit Ihnen.«
»Ach, wissen Sie, Herr Mandel, wenn der Herr Tilmann auf seiner Platte den Meinungen des Vereins oder gar meinen widersprochen hätte, dann wäre das doch kein Grund, auf illegale Weise irgendwelche Aufnahmen verschwinden zu lassen. Wir sind ein freies Land. Über uns schreibt und sagt doch sowieso jeder, was er will. Wie weh kann uns ein weiterer Künstler wie Herr Tilmann tun, der sich durch ein sogenanntes antifaschistisches Statement Aufmerksamkeit auf unsere Kosten verschaffen will?«
Was für Bücher lasen solche Leute wie der Neumann? Die komplette Weltliteratur ist doch von humanistischem Gedankengut durchzogen, da finden sich Leute wie der Neumann doch gar nicht wieder. Und er wird ja nicht den ganzen Tag deutsche Sagen lesen können. War das nicht eine Beleidigung für den Intellekt, wenn man nur diese schlecht geschriebenen Verschwörungsbücher lesen konnte, oder interpretierte man einfach den gängigen Kanon an humanistischer Prosa nach eigenem Gutdünken? Vielleicht war das eine Art geistiger Hochleistungssport, die Augen vor der Wahrheit zu verschließen.
»Ich glaube auch nicht, dass es sich lohnt, wegen irgendwelcher Aufnahmen so einen Terz zu veranstalten«, sagte der Mandel.
»Geschweige denn, jemanden umzubringen«, fügte er hinzu.
»Dann sind wir ja einer Meinung. Ich kann Ihnen leider nicht weiterhelfen, Herr Mandel. Wir besitzen keine Aufnahmen und sind auch nicht auf der Suche nach welchen. Das künstlerische Schaffen von Herrn Tilmann und seiner Band ist uns ziemlich egal, wenn ich das mal so frei sagen darf.«
»Na dann«, sagte der Mandel.
»Dann kann ich also davon ausgehen, dass Sie von mir jetzt alle notwendigen Informationen für Ihren Fall erhalten haben?«, fragte der Neumann.
»Na ja«, sagte der Mandel.
»Dann zum Wohle«, sagte der Neumann und hielt dem Mandel seine Bierflasche hin.
Was hören solche Leute wie der Neumann
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