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Mandels Buero

Mandels Buero

Titel: Mandels Buero Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berni Mayer
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Es war nicht mehr ganz so bedeckt, aber der Wind war stärker. Ein unerwartetes Stück Abendsonne mühte sich durch die Wolken, was ein schwefelgelbes Licht auf dem Wasser verursachte. Es war niemand in der Nähe.
    »Was ist denn eigentlich nichts ?«, fragte der Mandel und setzte sein Interviewgesicht auf.
    Ich summte die Mittelaltermelodie mit.
    »Ich habe dich etwas gefragt«, sagte der Mandel wie ein Mathelehrer.
    »Wir haben uns geküsst. In einem Park.«
    »Wann?«
    »Am Tag von dem Konzert im Kunstpalast.«
    »Und danach war nichts mehr?«
    »Kaffee trinken.«
    »Lügst du mich an, Sigi?«, fragte der Mandel in einem Ton, als hätte ich gerade die dritte binomische Formel falsch aufgesagt.
    »Warum?«
    »Aha!«
    »Aha?«
    »Du hast warum gesagt.«
    »Wie bitte?«
    »Wer warum auf die Frage sagt, ob er lügt, ist immer schuld.«
    »Woran denn schuld?«
    »An dem, weswegen er lügt.«
    »Versteh ich nicht«, sagte ich, weil ich es nicht verstand.
    »Ich habe dich gefragt, ob du lügst, und du hast gefragt, warum, statt zu sagen: nein. Da ist es doch klar, dass du lügst. Zudem wäre der Edelstein nicht so schlecht auf dich zu sprechen, wenn du die Malleck nur mal kurz geküsst hättest«, sagte der Mandel.
    Ich versuchte angestrengt, diese Musik wieder zu hören, aber sie war weg. Kein Black Sabbath und kein Mittelalter mehr. Nur noch Gegenwart und die Gegenwart vom Mandel.
    »Wir haben auch miteinander geschlafen. Aber nur kurz«, sagte ich, und mir war ein bisschen schwindelig. Da hat das angefangen mit dem Schwindel, meines Wissens nach.
    »Nur kurz?«
    »Mir ist ein bisschen schwindelig«, sagte ich.
    »Hättest ja mal was sagen können.«
    »Mir ist erst seit ein paar Sekunden schwindelig.«
    »Ich meinte wegen der Malleck.«
    Ich fühlte mich nicht wohl in meiner Haut. Es war mein gutes Recht, mein Verhältnis zur Malleck nicht vor dem Mandel offenzulegen, solange es keine definierte Struktur hatte, aber ich fühlte mich dennoch ertappt und schuldig. In mir trieb eine Angst hoch, dass der Mandel mir das nachtragen würde. Dass es unser Verhältnis aufs Schwerste belasten könnte. Und unseren neuen Beruf. Ich hatte mit einem Mal das Gefühl, jetzt geht alles den Bach hinunter. Die ganzen Veränderungen, der frische Wind, das war alles nur ein Vorbote vom Niedergang gewesen. Der Mandel würde mich in einem nie vermuteten Anfall von Jähzorn und Eifersucht im Scharmützelsee ertränken, die Malleck würde den Edelstein heiraten und der Urbaniak die Stimme vom Tilmann auf eine Platte samplen, die er so nie geschrieben hat, ähnlich wie bei Freddie Mercury und Tupac Shakur. Jetzt mal übertrieben gesagt.
    »Du siehst gar nicht gut aus, Sigi«, sagte der Mandel.
    »Doch, doch, geht schon. Bin nur ein bisschen durch den Wind. Aber geht schon.«
    »Gut, weil ich geh jetzt nämlich auch.«
    »Wie, du gehst?« Der Mandel war schon aufgestanden.
    »Ich geh jetzt. Beziehungsweise ich fahr jetzt.«
    »Wohin?«
    Ich wollte auch aufstehen, aber ich konnte gar nicht wegen dem Schwindel.
    »In die Stadt zurück.«
    »Und ich? Wie komm ich nach Hause?«
    »Ruf doch die Malleck an. Vielleicht holt sie dich ab.«
    »Das ist nicht dein Ernst. Jetzt bleib da, du Spinner.«
    »Ciao, Sigi.«
    Der Mandel ging in Richtung Yacht-Akademie, wo der gelbe Fahrschul-Audi parkte. Ich konnte nicht aufstehen. Der Mandel war nicht mehr in Sichtweite, als ich es endlich schaffte. Mir war immer noch schwindelig, aber ich tat ein paar Schritte in Richtung Ufer, wo ich mir eine Handvoll Wasser ins Gesicht schütten wollte, um wieder zu Sinnen zu kommen. Zum Wasser hin war es ziemlich abschüssig. Meine Beine gaben nach, ich fiel hin und rollte in Richtung See. Dann war ich weg.
    Die Malleck und ich liegen in diesem Kaiserbad unterhalb der Strandpromenade. Es ist immer wieder erstaunlich, wie schön die Strände hier sind, obwohl wir noch in Deutschland sind. Weißer Sand wie im exotischsten Palmenstaat, kilometerweise. Landseitig allerdings nur der Verfall. Ich liege mit der Malleck an einem weißen, leeren Strand, und im Hintergrund der Verfall. Leerstehende, an der eigenen Vergangenheit erstickte, halb in die Promenade hineinfaulende alte Villen. Der Verfall frisst die Idylle auf, er rückt immer näher. Direkt hinter uns steht eins dieser Gemäuer, und mich fröstelt, wenn ich mich danach umdrehe. Ich liege mit der Malleck am Strand, und wir sind verkeilt und küssen uns. Die Malleck trägt einen Badeanzug in den Farben der amerikanischen

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