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Manhattan Blues

Manhattan Blues

Titel: Manhattan Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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herrühre, wo er bei seiner zwanghaften Suche nach
angeblichen sowjetischen Maulwürfen über den Akten brüte.
    Walter Withers hatte stolz behauptet, den Spitznamen des
stellvertretenden Direktors erfunden zu haben, als ein Kollege bei einer
Cocktailparty bemerkt hatte, der stellvertretende Direktor habe schon vor Marx
gegen den Kommunismus gekämpft, und ein anderer sagte, er sei so alt wie Adam.
»Älter«, hatte Walter entgegnet. »Ich weiß aus sicherer Quelle, daß er hinter
der Schlange steckte, die Eva umgedreht hat. Der
stellvertretende Direktor ist der Alte persönlich.«
    Ein Gerücht wollte wissen — und Morrison hatte es aus einer
glaubwürdigen Quelle -, daß es so etwas wie ein Schock war, als Walter lächelte
und erwiderte: »In Wahrheit, Sir, würde ich im Augenblick gern meinen Spind
zuschließen und mich in der Privatwirtschaft tummeln.«
    Zuverlässige Zeugen behaupten, der Alte sei bei diesen Worten noch ein
wenig blasser geworden, aber altgediente Männer der Firma, die diese Geschichte
hörten, erklärten, das sei nicht möglich — der stellvertretende Direktor sei
blutarm und deshalb ohnehin schon von tödlicher Blässe.
    Der Alte ignorierte Walters Antwort und flötete: »Ich sage sicher
nichts Unerlaubtes, wenn ich erkläre, daß Europa für Sie eine Zeitlang tabu
ist, doch wenn eine angemessene Zeit verstrichen ist, kann ich Ihnen einen sehr
interessanten Posten in Asien anbieten.«
    Walter wollte sich weder so noch so erklären, doch Morrison hörte,
daß Walter auf die Leichenblässe des Mannes geblickt habe, der genau wußte, wo
- buchstäblich — sämtliche Leichen begraben waren, und gesagt haben soll: »Das
ist ein verlockendes Angebot, Sir, aber ich möchte wirklich wieder nach New
York.«
    »Die Firma ist in New York aber nicht tätig«, bellte der Alte und bat
Walter damit, die offenkundige Lüge zu schlucken, daß die CIA ihre schmutzigen
Füße nicht auf den jungfräulichen Boden setzte, auf dem unter anderem die ergiebigen
Jagdgründe der Vereinten Nationen lagen.
    »Genau«, erwiderte Walter. Er zog sein Dunhill-Päckchen aus der
Jackentasche und bot dem stellvertretenden Direktor eine Zigarette an, obwohl
ihm sehr wohl bewußt war, daß der Alte nicht rauchte. Als der alte Mann den
Kopf schüttelte, nahm sich Walter eine Zigarette und tippte damit auf die
Tischplatte. Dann beugte er sich über die billige geschliffene Schale mit der
brennenden Kerze und zündete sie an.
    »Sie würden die Firma verlassen, junger Mann?« zischte der Alte.
    »Nicht, weil ich die Firma weniger liebe, sondern weil ich Manhattan
mehr liebe«, erwiderte Walter.
    »Julius Cäsar«, murmelte der Alte, »dritter Akt, zweite Szene, in der
Brutus erklärt, weshalb er Cäsar den Dolch in den Rücken gestoßen hat.«
    Und damit war die Diskussion beendet, wie es in der Geschichte hieß,
und die Replik hatte bei dem Alten so gut funktioniert, daß Walter sie Morrison
noch einmal auftischte.
    »Blödsinn«, sagte der.
    »Nichts als die reine Wahrheit«, erwiderte Walter und hielt die rechte
Hand hoch, als leistete er einen Eid.
    Morrison verzog den Unterkiefer zu einer schiefen Grimasse, die bei
ihm einem Lächeln am nächsten kam. »Walter, wie kannst du mich an diesem
kalten und desolaten Ort zurücklassen?«
    »Ich bin sicher, du wirst dir irgendeinen Trost besorgen«, entgegnete
Walter.
    »Der Trost ist nicht das Problem«, stöhnte Morrison. »Es ist das
Besorgen.«
    Nicht übel, Morrison, dachte Walter. Das hätte ich dir gar nicht
zugetraut.
    Laut sagte er: »Die Welt ist kein großer Fliegenfänger, mußt du
wissen.«
    Morrison sah ihn mit ungläubigen Augen an.
    »Die Welt, Walter«, sagte er, »ist nichts weiter als ein großer
Fliegenfänger.«
    Walter zuckte die Schultern, schnippte seine Zigarettenschachtel auf
und bot Morrison eine an. Er zündete erst Morrisons Zigarette an, dann seine.
    Morrison starrte ihn an.
    Walter hob die Augenbrauen.
    »New York, du lieber Himmel«, sagte Morrison schließlich.
    »New York, mein Himmel«,
entgegnete Walter.
    »Wirst du die schwedischen Frauen nicht vermissen?« fragte Morrison
herausfordernd.
    Walter setzte sich auf die Ecke von Morrisons Schreibtisch und sagte:
»Als ich in Greenwich lebte und noch ein Kind war, putzte meine Mutter meine
Schwester und mich immer kurz nach Thanksgiving heraus und verfrachtete uns in
einen Zug. Wir stiegen an der Grand Central Station aus, die ich damals für den
Mittelpunkt des bekannten Universums hielt, und wenn es

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