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Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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erklären, Sohn. Die Revolution hat mich verändert. Besser gesagt, sie hat mich noch einmal verändert, vielleicht sogar zerstört. Ich wusste, wo du warst und was du gemacht hast, aber ich …«
    »Was?«
    »Ich würde gern von Angesicht zu Angesicht mit dir reden.«
    »Nikita ist im Gefängnis«, sagte ich.
    »Ich weiß.«
    »Ich bin verheiratet und habe drei Kinder.«
    »Wir sollten uns treffen, Sohn.«
    Derart tiefe Gefühle hatte ich nicht erwartet. Ich hatte nicht geglaubt, dass ich meinen Vater je wiedersehen würde. Vor nicht einmal einer Stunde war ich Zeuge geworden, wie die Wahrheit einen reichen und mächtigen Mann demontiert hatte. Ich hatte diese Zerstörung mit einem Gefühl der Überlegenheit beobachtet. Aber jetzt erkannte ich, dass ich nicht besser dran war, dass das Leben sich gegen uns alle verschwor und alles unterhöhlte – selbst den Boden unter unseren Füßen.
    »Wie wär’s mit dem Restaurant, wo du gern hingehst«, sagte mein Vater Tolstoy McGill. »Das Steakhaus am Columbus Circle. Wir könnten uns dort zu einem späten Abendessen treffen, vielleicht gegen zehn.«
    »Woher weißt du, wo ich gern esse?«
    »Komm um zehn in das Steakhaus, Trot. Ich werde da sein. Wenn du mich sehen willst, bist du auch da.«
    Ein Klicken in meinem Ohr beendete das Gespräch, doch ich ließ das Telefon nicht sofort sinken. Es war derstärkste Wunsch meines Lebens gewesen, noch einmal die Chance zu bekommen, die Stimme meines Vaters zu hören. Ich vermisste ihn schrecklich, ich hatte mir sehnlich seine Aufmerksamkeit und sein Überleben gewünscht. Ich hasste ihn auch, doch das tiefe Gefühl des Verlustes erstickte jede Antipathie wie eine Atombombe, die über einem Nest wütender Hornissen explodierte.
    »Da wären wir«, sagte jemand.
    Das Taxi war nach vierundvierzigjähriger Fahrt zum Stehen gekommen. Das Gebäude mit der modernen Stahl-Glas-Fassade erhob sich schlanke fünfzehn oder sechzehn Stockwerke über seine strengen Nachbarn aus Backstein wie eine silberne Nadel, die man in einen Fingernagel aus Beton gestoßen hatte.
    Ich blickte nach oben und fragte mich, ob heute der Tag war, an dem ich sterben würde. Ich hatte meinen Vater immer mit dem Tod assoziiert. Bevor sie von uns gegangen war, hatte meine Mutter Nikita und mir erklärt, dass sie ihn an dem Ort wiedersehen würde, wohin Menschen gehen, wenn der Atem ihren Körper verlässt.
    »Das macht zwölf fünfundsechzig«, sagte der Taxifahrer.
    Ich gab ihm einen Zwanziger und stieg aus. Auf dem breiten Bürgersteig vor den Glastüren sinnierte ich erneut über die Sterblichkeit. Irgendwo hatte ich eine Frau und erwachsene Kinder, die ich liebte. Dann war da meine Geliebte, deren Küsse ich mir in diesem Moment nicht vorstellen konnte. Und ein Leben, das seitwärts und rückwärts gelebt worden war, Hoffnungen, die ihre Bedeutung verloren hatten.
    Mein Kopf war leer – das buddhistische Ideal. Der Gedanke brachte ein Lächeln auf meine Lippen. Ich atmete tief durch und ging zur Tür.

55
    »Furrows, ich hab ein Meeting um 16.30 Uhr«, sagte ich zu dem mürrisch aussehenden Mann am Empfangstresen. »Suite zwölf-null-drei-A.«
    »Ausweis«, erwiderte er.
    »Hab ich nicht dabei.«
    »Ohne Ausweis kann ich Sie nicht reinlassen.« Der Wachmann trug eine schwarze Jacke, die vage militärisch anmutete. Er war ein Schwarzer der grau-braunen Sorte und in meinem Alter. Er war groß, aber schlaff, stark, aber wahrscheinlich langsam.
    »Von einem Ausweis hat mir niemand was gesagt«, erklärte ich ihm. »Bloß Furrows, zwölf-null-drei-A.«
    Der Wachmann mochte mich nicht. Trotzdem schlug er ein großes Register vor sich auf und fuhr mit einem dicken Finger über die Seite. Er fand etwas, das seine Mundwinkel verdrießlich zucken ließ, und sagte dann: »Nehmen Sie den dritten Fahrstuhl auf der rechten Seite.«
    Suite 1203A war ein Einzimmerapartment mit einer komplett verglasten Front zur Greenwich Street. Es gab keine Vorhänge oder Jalousien. Die Sonne schien herein, doch der Raum war angenehm klimatisiert. In dem kleinen Zimmer standen nur zwei Stühle. Ich setzte mich auf einen davon und fühlte mich entblößt und verwundbar, aber nicht furchtsam und ängstlich. Es war 15.47. Ich war darauf eingestellt zu warten. Ich war auch bereit zu sterben. Es war ein langer Lauf gewesen, unddie Rückkehr meines Vaters signalisierte ein Ende des Rennens.
    Während ich in diesem ungeschützten Raum saß, dachte ich an meine Kinder. Sie waren alle beschädigt und

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