Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Raubüberfall nicht noch einmal untersucht hätte, hätte er es vielleicht geschafft. Aber ich sag Ihnen was. Lassen Sie uns die Belohnung zwischen mir und Zella Grisham teilen. Ich nehme fünfundsiebzigtausend und überlasse ihr den Rest.«
»Wirklich?«
»Sie hat all die Jahre im Gefängnis gesessen. Irgendjemand sollte dafür zahlen.«
»Warum Sie?«
»Warum nicht?«
»Da steckt doch mehr dahinter.«
»Mag sein.« Ich blickte zu ihr hinüber und dachte, dass alles, was wir sehen und erleben, immer schon Vergangenheit war: das Licht der Sterne, ein kurzer Ausdruck von Liebe.
»Sie sind ein faszinierender Mann, Mr. McGill.«
»Meistens wünsche ich mir, ich wäre ein langweiliger Klempner geworden. Was werden Sie jetzt machen, Annie?«
»Wie meinen Sie das?«, fragte sie, ohne an der Koseform Anstoß zu nehmen.
»Bei Rutgers können Sie nicht bleiben. Die müssendie Sache so schnell wie möglich begraben. Die Veränderungen, die man Ihnen zumuten wird, werden Sie nicht ertragen.«
Das war ein neuer Gedanke für die Sicherheitschefin. Ich hatte ihn ihr in den Kopf gepflanzt, weil mir ihre wachsende Leidenschaft in diesem Moment zu viel war. Ich brauchte Zeit, um mein ganzes Leben durchzugehen und in Ordnung zu bringen. Vielleicht musste ich vor Ende der Nacht sogar noch jemanden umbringen.
»Ich muss los«, sagte ich.
»Um Ihren Vater zu treffen.«
»Ja. Um meinen alten Herrn zu treffen.«
»Stehen Sie sich nahe?«
»Ich komm irgendwann morgen in Ihrem Büro vorbei«, sagte ich. »Dann gucken wir, was wir wegen der Belohnung machen.«
»Vielleicht können wir zusammen Mittag essen.«
»Ja, das wäre nett.«
Die Auflösung eines Falls war häufig so – enttäuschend unaufregend. Ein kleiner Mann mit großen Ideen, der vom Druck, den er in seinem Kopf aufgebaut hat, zerquetscht wird. Er hatte sein eigenes Unternehmen beraubt, seinen Komplizen ermorden lassen und dann die unrechtmäßig erworbenen Mittel benutzt, um seine Verbrechen zu vertuschen. Ich fragte mich, warum seine Frau ihn verlassen hatte. Vielleicht wäre er nie böse geworden, wenn sie bei ihm geblieben wäre.
Ich war eine Stunde gelaufen, bevor ich mir dessen überhaupt bewusst wurde. Ich konnte mich nicht an grüne Ampeln oder irgendjemanden erinnern, dem ichunterwegs begegnet war. Schließlich stand ich vor dem Eingang zum C-Train in der 23 rd Street. Ich ging sogar mit der Metrocard in der Hand bis zu den Drehkreuzen. Aber ich ging nicht hindurch. Die Welt um mich herum wurde immer enger. Jeder Fehltritt, den ich gemacht hatte, hatte mich zu diesem Loch im Boden geführt. Ich rannte die Betontreppe hoch wie ein Bergarbeiter auf der Flucht vor einem Stolleneinsturz.
Die meisten Männer, die auf Plimptons Geheiß gestorben waren, waren durch mein Handeln dazu verurteilt worden. Alton Plimpton war mein Bauer, schon bevor ich seinen Namen kannte. Ich war ein auf die Welt losgelassener, virulenter Krankheitserreger, der durch seine schiere Existenz verheerend wirkte. Ich war hervorgegangen aus meinem Vater, einem weiteren tödlichen Virus, der unsichtbar und lautlos in der Luft lag – und eine Bleibe in den Lungen von Kindern suchte.
Nachdem ich eine weitere Stunde herumgelaufen war, nahm ich den Bus zur West Side und kam irgendwann nach sieben zu Hause an. Während ich die Treppe hinaufstieg, fragte ich mich, wie Altons Plan ausgesehen hatte. Er hatte Zella die Sache angehängt und wollte diese Täuschung aufrechterhalten. Vielleicht hatte er schon immer vorgehabt, Brighton zu vernichten. Die Polizei hätte nie genug Beweise aufgebracht, um eine Anklage wegen Mordes zu erreichen, aber Rutgers hätte dafür gesorgt, dass er für seine Verbrechen bezahlte.
Aus Dimitris Zimmer drang Musik. Er war dort mit seiner Femme fatale, furcht- und wahrscheinlich auch ahnungslos gegenüber den Gefahren, die sie heraufbeschwor.
Twills und Shellys Zimmer waren leer. Ich war froh, keinen von beiden sehen zu müssen. Vielleicht wären sie beide besser dran, wenn ich verschwunden wäre wie mein Vater …
In diesem Moment fiel mir auf, dass kein Duft in der Luft lag. Wenn Katrina auf dem Damm war, kochte sie jeden Abend. Und sie hatte sich erholt. Normalerweise sollte sie mit der Zubereitung eines Mahls beschäftigt sein.
»Katrina?«, rief ich.
Dimitri kam an die Tür seines Zimmers.
»Hast du deine Mutter gesehen, Bulldog?«, fragte ich ihn.
»Sie ist im Schlafzimmer«, sagte er.
»Wie läuft’s?«, fragte ich ihn.
Hinter ihm trat Tatyana
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