Mannerfreie Zone
cool, aber im Grunde passiert jede Woche das Gleiche. Niemand sonst in diesen überfüllten Aufzügen scheint so zu denken wie ich. Ich schätze, alle finden es einfach cool genug, ein Teil dieses riesigen Verlagkonzerns zu sein, auch wenn sie überhaupt nichts darstellen. Sie lassen sich genauso wie meine Freunde aus der Schule oder die Leute aus meiner Heimatstadt von Namen und vagen Möglichkeiten beeindrucken.
Aber ich will nicht so werden.
Was mir wirklich hilft, ist Tabitha. Sie ist eine der wenigen Freundinnen, die ich bei der Arbeit habe. Das Beste daran ist, dass sie in der Stadt wohnt und ganz genau weiß, was cool ist und was nicht. Tabitha und ich haben uns bei der Zeitarbeitsfirma kennen gelernt. Ich kam dort an, bereit, meine neue Karriere in Angriff zu nehmen, froh, endlich die Schule hinter mir zu haben. Ich trug das, was ich gerne meinen Jackie-O-Anzug nenne: ein wenig retro aber immer passend.
Tabitha ist ein großes Mädchen aus Texas. Ich weiß, diese Beschreibung ist grob vereinfachend, sie würde es hassen, so beschrieben zu werden. Robust wie eine Rubensfigur, wie eine Statue – auffallend, das wären die Worte, die Tabitha wählen würde. Tabitha ist nicht fett, nun, vielleicht doch, wenn man nach Calvin-Klein-Normen geht. Am besten finde ich, dass sie nicht die Absicht hat, etwas an sich zu ändern.
Ich stelle fest, dass alle möglichen Männer sich zu Tabitha hingezogen fühlen, trotz ihrer Figur. Meistens trifft sie sich mit Ausländern: italienischen Geschäftsleuten, argentinischen Fußballern, ich glaube es war auch mal ein kuwaitischer König darunter. Ausländer sind ständig hinter ihr her. Sie sagt, es sei besser, solche zu treffen, denn „wenn sie hier sind, können sie sich mich leisten“.
Alles an Tabitha ist Image. Ich habe schon öfter erlebt, wie sie ein Vermögen für Kleider ausgegeben hat. Wie sie das macht, habe ich allerdings noch nicht rausgefunden, zumal sie auch noch eine New Yorker Miete zahlen muss und genauso viel wie ich verdient.
„Ich setze einfach Prioritäten.“ Das sagt sie immer, wenn ich es mir nicht leisten kann, mit ihr einkaufen zu gehen. Konkreten Fragen nach ihren Finanzen weicht sie aus. Ich frage mich, ob sie vielleicht ein Treuhandvermögen hat. Da sie es hasst, alleine einkaufen zu gehen, verspricht sie mir immer Geschenke, damit ich sie begleite. Und wenn ich nicht mitgehe, fühlt sie sich verpflichtet, alles in meiner Größe zu kaufen, was sie schön findet. Tabitha ist großzügig, aber ich glaube, es geht ihr vor allem darum, wie ihre Freunde aussehen. Sie möchte sich in den richtigen Kreisen bewegen, also muss jeder um sie gut angezogen sein. (Es ist traurig, aber ich glaube, ich bin meinem Jackie-O-Anzug niemals gerecht geworden.)
Das Beste an Tabitha sind die Vorteile, die wir durch ihren Job haben und mit denen wir unser Image um einiges aufpolieren können. Die Glamour-Götter müssen gelächelt haben, als sie diesen Aushilfsjob bekam. Sie ist die Assistentin der verantwortlichen Redakteurin von, ob sie’s glauben oder nicht,
NY By Night
. Ja, das gehört uns auch. Das „wir“ bezieht sich auf Prescott Nelson Inc. Onkel Pres, der Gründer unseres großartigen Unternehmens, hat seine Finger überall drin.
NY By Night
befasst sich mit den wichtigsten New Yorker Ereignissen: Filmpremieren, Vernissagen, Clubleben, Promi-Geburtstage, Wohltätigkeitsbälle, insgesamt also Veranstaltungen, zu denen nur Leute aus dem „Biz“ gehen, um zu zeigen, wie viel Spaß sie dabei haben, so viel cooler zu sein als der Rest der Bevölkerung.
Tabithas Chefin heißt Diana Milana. Tabitha nennt Diana gerne
Big C
(und Sie können sich bestimmt vorstellen, wofür das C steht).
Big C
ist in dieser Branche ziemlich bekannt. Sie sagte gleich am ersten Tag zu Tabitha: „Ich mag es, wenn die Dinge schnell erledigt werden.“ Aber
Big C
hat einen so ausgefüllten Terminkalender und nie genug Zeit, um zu all den Veranstaltungen zu gehen, die sie als Chefin vom „Puls der Stadt, die niemals schläft“ oder wie auch immer der Slogan von
NY By Night
ist, eigentlich besuchen müsste. Wenn es also
Big C
nicht gelingt, einen ihrer nicht weniger gestressten Mitarbeiter zu diesen Veranstaltungen zu schicken, raten Sie mal, wer dann hin darf? Manchmal fahren wir die ganze Nacht durch die Gegend und bleiben immer genau eine Stunde und fünfzehn Minuten bei jedem Fest. (Nun, zwei Mal ist das bisher passiert). Tabitha bekommt alle Taxirechnungen ersetzt, und in
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