Mantel, Hilary
junge Männer sind, die
bei Hofe ein und aus gehen, ist der Eindruck entstanden, der Vater habe sich
zur Ruhe gesetzt. »Und jetzt verstehen wir auch, warum wir ihn nie sehen«,
flüstert Anne. »Jetzt verstehen wir auch, was er auf dem Land treibt.«
»Er jagt, dachte ich.«
»Ja, und Catherine Fillol,
Edwards Frau, ist ihm ins Netz gegangen. Man hat sie in flagranti ertappt, aber
ich habe noch nicht herausgefunden, wo, ob nun in ihrem Bett oder seinem, auf
einer Wiese oder einem Heuboden - ja sicher, das ist kalt, aber sie haben sich
ja gegenseitig warmgehalten. Und inzwischen hat Sir John alles gestanden, von
Mann zu Mann, und seinem Sohn ins Gesicht gesagt, dass er sie seit der Hochzeit
jede Woche hatte, das sind also in etwa zwei Jahre und, sagen wir, sechs
Monate, also ...«
»Man könnte es auf
einhundertzwanzigmal abrunden, wenn man davon ausgeht, dass sie sich an den
hohen Feiertagen enthalten haben ...«
»Ehebrecher unterbrechen ihr
Tun nicht in der Fastenzeit.«
»Ach, und ich dachte, das
würden sie.«
»Sie hat zwei Kinder bekommen,
deshalb sollte man eine Pause für das Wochenbett einrechnen ... Und es sind
Jungen, wissen Sie. Deshalb will Edward ...« Er stellt sich vor, was Edward
will. Dieses unverfälschte Habichtprofil. »Er schließt sie aus der Familie
aus. Sie sollen Bastarde sein. Sie, Catherine Fillol, soll in ein Kloster
gesteckt werden. Ich meine ja, er sollte sie in einen Käfig sperren! Er bemüht
sich um eine Annullierung der Ehe. Was den lieben Sir John betrifft, glaube ich
nicht, dass wir ihn demnächst bei Hofe sehen.«
»Warum flüstern wir? Ich bin
bestimmt die letzte Person in London, die es erfährt.«
»Der König weiß es noch nicht.
Und Sie wissen ja, wie eigen er ist. Wenn also jemand zu ihm kommt und einen
Witz darüber macht, ist es besser, wir sind es nicht.«
»Und die Tochter? Jane, nicht
wahr?«
Anne kichert. »Das
Käsegesicht? Ist nach Wiltshire gegangen. Das Beste für sie wäre, wenn sie
ihrer Schwägerin in ein Nonnenkloster folgt. Ihre Schwester Lizzie hat gut
geheiratet, aber keiner will die Heulsuse haben, und jetzt schon gar nicht.«
Ihr Blick fällt auf sein Geschenk; sie sagt - plötzlich besorgt, eifersüchtig:
»Was ist es?«
»Nur ein Buch mit Handarbeitsmustern.«
»Solange man keinen Verstand
dazu braucht! Warum wollen Sie ihr eigentlich etwas schenken?«
»Sie tut mir leid.« Jetzt
natürlich noch mehr.
»Oh. Sie mögen sie doch nicht
etwa?« Die richtige Antwort ist: Nein, Mylady Anne, ich mag nur Sie. »Denn die
Frage ist, ob es sich gehört, wenn Sie Ihr etwas schenken.«
»Es sind ja schließlich keine
Geschichten von Boccaccio.«
Sie lacht. »Die könnten
Boccaccio eine Geschichte erzählen, diese Sünder von Wolf Hall.«
Thomas Hitton, ein Priester,
wurde verbrannt, als der Februar zu Ende ging; er war von Fisher, Bischof von
Rochester, als Schmuggler von Tyndales Schriften aufgegriffen worden. Bald darauf
brach ein Dutzend Gäste zusammen, als sie vom frugalen Tisch des Bischofs
aufstanden; sie erbrachen sich, gelähmt vor Schmerzen, wurden bleich und
beinahe ohne Puls zu Bett gebracht, um von den Ärzten behandelt zu werden. Dr
Butts sagte, die Brühe wäre verantwortlich gewesen; nach Aussage der Servierjungen
war sie das einzige Gericht, von dem alle genommen hatten.
Es gibt Gifte, die von der
Natur selbst gebraut werden, und bevor er den Koch des Bischofs der Folter
unterworfen hätte, wäre er, Cromwell, in den Küchentrakt gegangen, um den
Suppentopf mit dem Schaumlöffel zu untersuchen. Aber sonst bezweifelt keiner,
dass es sich um ein Verbrechen gehandelt hat.
Bald darauf gibt der Koch zu,
ein weißes Pulver in die Brühe getan zu haben. Jemand habe es ihm gegeben. Wer?
Einfach ein Mann. Ein Fremder, der gesagt habe, es sei ein guter Witz, Fisher
und seinen Gästen ein Abführmittel zu verabreichen.
Der König ist außer sich: Wut
und Angst. Er gibt Ketzern die Schuld. Dr Butts schüttelt den Kopf, zieht an
seiner Unterlippe und sagt, dass Henry Gift mehr fürchte als die Hölle selbst.
Würde jemand Gift in das
Abendessen eines Bischofs tun, weil ein Fremder meint, es wäre ein Lacher? Der
Koch will nichts mehr sagen, oder vielleicht ist er über das Stadium hinaus, wo
er noch etwas sagen kann. In diesem Fall ist das Verhör falsch geführt worden,
sagt er zu Butts, ich frage mich, warum. Der Arzt, ein Mann, der das Evangelium
liebt, lacht säuerlich und sagt: »Wenn sie den Mann zum Reden bringen wollten,
hätten
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