Mantel, Hilary
Bootsrand.
»Wie geht's deinem Dad?«
»Tot.« Sion spuckt den Stängel
aus. »Sind welche von denen deine Kinder?«
»Ich«, sagt Gregory.
»Das is' meiner.« Sion nickt
dem anderen Ruderer zu, einem Koloss von Jungen, der rot wird und wegsieht.
»Dein Dad hat den Laden bei solchem Wetter immer zugemacht. Hat das Feuer
ausgemacht und ist angeln gegangen.«
»Hat das Wasser mit seiner
Rute geprügelt«, sagt er, »und den Fischen das Licht ausgeblasen. Ist
reingesprungen und hat sie aus der grünen Tiefe gezogen, sodass sie nach Luft
schnappten. Dann die Finger in die Kiemen gesteckt: >Was stierst du so, du
schuppiger Hurensohn? Stierst du mich an?<«
»Er war keiner, der rumsaß und
die Sonne genossen hat«, erklärt Madoc. »Ich könnte Geschichten über Walter
Cromwell erzählen!«
Master Wriothesley steht die
Verblüffung ins Gesicht geschrieben, denn er weiß nicht, wie viel man von
Bootsführern mit ihrem lästerlichen und blitzschnellen Jargon lernen kann. Mit
zwölf sprach er selbst ihn fließend, es war seine Muttersprache, und jetzt
strömt sie wieder in seinen Mund, etwas Natürliches, etwas Schmutziges. Er
beherrscht griechische Redewendungen, die er mit Thomas Cranmer, mit
Nennt-mich-Risley austauscht: frühe Sprache, unverdorben wie zarte Früchte.
Aber niemals lässt dich ein Meister des Griechischen die Ohren spitzen, wie es
jetzt Sion tut, als er Putneys Meinung über die Scheißbullen zum Besten gibt.
Henry treibt's mit der Mutter, viel Spaß dabei. Er treibt es mit der Schwester,
wozu ist man König? Aber irgendwo gibt's 'ne Grenze. Wir sind schließlich keine
Tiere. Sion nennt Anne einen Aal, er nennt sie eine glitschige
Schleimtaucherin; er selbst erinnert sich daran, wie der Kardinal sie nannte:
meine schlangengleiche Feindin. Sion sagt: Sie treibt es mit ihrem Bruder; er
sagt: Was, mit ihrem Bruder George?
»Mit jedem Bruder, den sie
hat. Diese Sorte hält sich an die Familie. Sie machen dreckige französische
Tricks wie ...«
»Könntest du etwas leiser
sprechen?« Er sieht sich um, als könnten Spione neben dem Boot schwimmen.
«... und damit schafft sie's
auch, Henry hinzuhalten, denn wenn sie's ihn machen lässt und sie bekommt einen
Jungen, sagt er, vielen Dank auch und jetzt verzieh dich, Mädel - also macht
sie: Ach, Eure Hoheit, ich könnte das nie gestatten - weil sie weiß nämlich,
dass ihr Bruder jede Nacht in ihr drin ist, sie bis sonst wohin abschleckt, und
dann sagt er: Entschuldige mal, Schwester, was soll ich mit diesem großen Paket
anfangen? - Sie sagt: Ach, mach dir keine Sorgen, Mylord Bruder, schieb's in
den Hintereingang, da kann nichts schiefgehen.«
Danke, sagt er, ich hatte ja
keine Ahnung, wie sie das hinkriegen.
Die Jungen haben ungefähr
eines von drei Worten verstanden. Sion bekommt ein Trinkgeld. Das ist es auf
jeden Fall wert, wieder Bekanntschaft mit der Vorstellungskraft von Putney zu
machen. Er weiß Sions affektierte Nachahmung zu schätzen: ganz und gar nicht
wie die wirkliche Anne.
Später, zu Hause, sagt
Gregory: »Ist es richtig, wenn Leute so sprechen? Und noch dafür bezahlt
werden?«
»Er hat gesagt, was er denkt.«
Er zuckt die Achseln. »Als o, wenn du wissen willst, was die Leute denken ...«
»Nennt-mich-Risley hat Angst
vor dir. Er sagt, als du mit dem Ersten Sekretär in Chelsea warst, hast du
gedroht, ihn aus seiner eigenen Barke zu schubsen und zu ertränken.«
In seiner Erinnerung verlief
das Gespräch etwas anders.
»Und glaubt Nennt-mich, dass
ich es tun würde?«
»Ja. Er traut dir alles zu.«
Zu Neujahr hatte er Anne ein
Geschenk gemacht: Silbergabeln mit Griffen aus Bergkristall. Er hofft, sie
benutzt sie zum Essen, nicht um Leute damit zu stechen.
»Aus Venedig!« Sie freut sich.
Sie hält sie in die Höhe, sodass die Griffe das Licht einfangen und brechen.
Er hat noch ein Geschenk
mitgebracht, das sie für ihn weitergeben soll. Es ist in ein Stück himmelblauer
Seide verpackt. »Für das kleine Mädchen, das immer weint.«
Anne öffnet den Mund ein
wenig. »Ach, Sie wissen es noch nicht?« Ihre Augen sind randvoll mit schwarzem
Entzücken. »Kommen Sie näher, damit ich es Ihnen ins Ohr flüstern kann.« Ihre
Wange streift seine. Ihre Haut ist leicht parfümiert: Ambra, Rose. »Sir John
Seymour? Der liebe Sir John? Der alte Sir John, wie die Leute ihn nennen?« Sir John ist nur
etwa ein Dutzend Jahre älter als er selbst, aber Liebenswürdigkeit kann alt
machen; und weil seine Söhne Edward und Tom inzwischen
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