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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
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sie Thomas More rufen sollen.«
    Es heißt, der Lordkanzler sei
zum Meister der Zwillingskunst geworden, die Diener Gottes zu strecken und
zusammenzupressen. Werden Ketzer aufgegriffen, steht er im Tower dabei, wenn
die Folter angewandt wird. Es wird berichtet, dass er in seinem Pförtnerhaus
in Chelsea Verdächtige im Stock hält, während er ihnen predigt und zusetzt: der
Name des Druckers, der Name des Kapitäns, auf dessen Schiff diese Bücher nach
England gebracht wurden. Man sagt, er benutzt die Peitsche, die Ketten und das
Foltergerät, das Skeffngton's Daughter genannt wird. Es ist eine tragbare Vorrichtung, in die
ein Mann mit den Knien an der Brust und einem eisernen Reifen im Rücken gesetzt
wird. Mit Hilfe einer Schraube wird der Reifen so lange enger gemacht, bis die
Rippen des Mannes brechen. Die Anwendung erfordert großes Feingefühl, muss man
doch aufpassen, dass der Mann nicht erstickt: Wenn das passiert, geht alles,
was er weiß, verloren.
    Während der nächsten Woche
sterben zwei der Gäste; Fisher selbst erholt sich. Es ist möglich, denkt er,
dass der Koch tatsächlich geredet hat, aber was er gesagt hat, war nicht für
die Ohren des gewöhnlichen Untertans bestimmt.
    Er sucht Anne auf. Ein Dorn
zwischen zwei Rosen, sitzt sie zusammen mit ihrer Kusine Mary Shelton und
Jane, Lady Rochford, der Frau ihres Bruders. »Mylady, wussten Sie, dass der
König eine neue Form des Todes für Fishers Koch erdacht hat? Er soll lebendig
gekocht werden.«
    Mary Shelton zieht kurz die
Luft ein und errötet, als hätte ein Galan sie gekniffen. Jane Rochford sagt
gedehnt: »Vere
dignum et justum est, aequum et salutare.« Sie übersetzt für Mary:
»Passend.«
    Annes Gesicht zeigt keinerlei
Regung. Selbst ein so belesener Mann wie er findet darin nichts, was er
entziffern kann. »Wie werden sie es tun?«
    »Ich habe nicht nach der
Technik gefragt. Möchten Sie, dass ich mich erkundige? Ich denke, dass
dazugehören wird, ihn an Ketten in die Höhe zu ziehen, damit die Menge seine
Schreie hört und sieht, wie sich seine Haut abschält.«
    Eines muss man Anne lassen.
Wenn man auf sie zukäme und sagte: Madam, Sie sollen gekocht werden, würde sie
vermutlich mit der Schulter zucken: c'est la vie.
    Fisher ist einen Monat
bettlägerig. Als  er wieder auf den Beinen ist, sieht er wie eine wandelnde
Leiche aus. Die Fürsprache von Engeln und Heiligen hat nicht genügt, um seinen
wunden Darm zu heilen und wieder Fleisch auf seine Knochen zu bringen.
    Es sind Tage, in denen sich
brutal bewahrheitet, was Tyndale sagt. Heilige sind nicht deine Freunde, und
sie beschützen dich nicht. Sie können dir nicht zur Erlösung verhelfen. Du
kannst sie nicht mit Gebeten und Kerzen in den Dienst nehmen, wie du etwa
einen Mann für die Ernte anheuerst. Christus hat sich in Golgatha geopfert;
sein Opfer findet nicht in der Messe statt. Priester können dich nicht in den
Himmel bringen; du brauchst keinen Priester, der zwischen dir und deinem Gott
steht. Keines deiner Verdienste kann dich retten: nur die Verdienste des
lebendigen Christus.
    März: Lucy Petyt, deren
Ehemann Großkaufmann und Mitglied des Unterhauses ist, sucht ihn in Austin
Friars auf. Sie trägt schwarzes Lammfell — importiert, würde er sagen - und ein
schlichtes graues Kammgarnkleid; Aice nimmt ihre Handschuhe entgegen und steckt
verstohlen einen Finger hinein, um das Seidenfutter zu prüfen. Er erhebt sich
von seinem Schreibtisch und nimmt ihre Hände, zieht sie zum Feuer und drängt
sie, einen Becher warmen Gewürzwein zu nehmen. Ihre Hände zittern, als sie den
Becher umfängt und sagt: »Ich wünschte, John hätte das auch. Diesen Wein.
Dieses Feuer.«
    Es schneite in der
Morgendämmerung am Tag der Razzia auf dem Lion's Quay, aber bald ging die
Wintersonne auf, wusch die Fensterscheiben sauber und brachte starke Kontraste
in die getäfelten Räume der Stadthäuser: Schattenschluchten und kalte
Lichtfluten. »Ich kann sie nicht aus dem Kopf bekommen«, sagt Lucy, »die
Kälte.« Und natürlich More, der persönlich in der Tür stand, das Gesicht in
Pelze eingemummt. Bei ihm waren seine Beamten, um das Lagerhaus und die
Privaträume zu durchsuchen. »Ich war die Erste dort«, sagt sie, »und hielt ihn
mit Höflichkeiten auf. Nach oben rief ich: Mein Lieber, der Lordkanzler ist
hier, er kommt in Angelegenheiten des Parlaments.« Der Wein steigt ihr ins
Gesicht, lockert ihr die Zunge. »Mehrmals fragte ich: Haben Sie gefrühstückt,
Sir, sind Sie sicher? Und die

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