Mantel, Hilary
verliert. »Ich habe der Königin gesagt, dass sie Henry in Frieden gehen
lassen soll. Oder er würde die Prinzessin vielleicht nicht mit ihr nach Norden
ziehen lassen.«
Wriothesley sagt erstaunt:
»Aber es ist entschieden. Sie werden getrennt. Mary soll nach Richmond gehen.«
Das hat er nicht gewusst. Er
hofft, dass sein Zögern nicht zu erkennen ist. »Natürlich. Aber der Königin
hat man es noch nicht gesagt, und es war den Versuch wert, richtig?«
Sieh an, wie nützlich Master
Wriothesley ist. Sieh an, wie er uns Informationen von Sekretär Gardiner liefert.
Rafe sagt: »Es ist hart. Das Mädchen gegen ihre Mutter zu benutzen.«
»Hart, ja ... aber die Frage
ist: Hast du deinen Fürsten ausgewählt? Denn das ist es, was du tust, du wählst
ihn aus, und du weißt, was er ist.
Und dann, wenn du dich
entschieden hast, sagst du ja zu ihm - ja, das ist möglich, ja, das kann
gemacht werden. Wenn du Henry nicht magst, kannst du in ein anderes Land gehen
und dir einen anderen Fürsten suchen, aber ich sage dir - wenn das hier
Italien wäre, läge Katherine bereits kalt in ihrem Grab.«
»Aber du hast geschworen«,
sagt Gregory, »dass du die Königin achten willst.«
»Das tue ich auch. Und ich
würde auch ihre Leiche achten.«
»Du würdest ihren Tod nicht
herbeiführen, oder?«
Er bleibt stehen. Er nimmt
Gregorys Arm und dreht seinen Sohn um, damit er ihm ins Gesicht sehen kann.
»Verfolge unser Gespräch zurück.« Gregory macht sich los. »Nein, hör zu,
Gregory. Ich sagte, du kommst den Bitten des Königs nach. Du machst den Weg für
seine Wünsche frei. Das ist es, was ein Hofmann, ein Cortegiano, tut. Aber eines muss dir klar
sein: Es ist unmöglich, dass Henry von mir oder einer anderen Person verlangen
würde, der Königin etwas anzutun. Was ist er denn, ein Ungeheuer? Selbst jetzt
empfindet er noch Zuneigung zu ihr; wie könnte er das nicht? Und er hat eine
Seele, auf deren Rettung er hofft. Er beichtet jeden Tag bei dem einen oder
anderen seiner Kapläne. Glaubst du, der Kaiser tut so viel? Oder König
Francois? Henrys Herz, das versichere ich dir, ist ein Herz voller Gefühl; und
Henrys Seele, das schwöre ich, ist die am besten erforschte Seele der Christenheit.«
Wriothesley sagt: »Master
Cromwell, er ist Ihr Sohn und kein Botschafter.«
Er lässt Gregory los. »Sollen
wir auf den Fluss? Vielleicht weht dort ein Wind.«
Im unteren Hof kläffen sechs
Jagdhundpaare und bewegen sich unruhig in ihren Käfigen auf Rollen, die sie
übers Land bringen werden. Mit wackelnden Schwänzen klettern sie übereinander
her, ziehen und zwicken sich an den Ohren, und ihr Kläffen und Heulen verstärken
die Atmosphäre der Beinahepanik, die den Palast in Besitz genom men hat. Es gleicht mehr der
Evakuierung einer Festung als dem sommerlichen Aufbruch des Hofstaats.
Schwitzende Träger hieven die Einrichtung des Königs auf Karren. Zwei Männer
stecken mit einer verzierten Truhe in einem Eingang fest. Er denkt zurück und
sieht sich auf der Straße: ein Junge mit blauen Flecken, der hilft, Wagen zu
beladen, um mitgenommen zu werden. Er geht hinüber. »Wie ist das passiert,
Jungs?«
Er hält eine Ecke der Truhe
fest und lässt die beiden in den Schatten zurücktreten, reguliert die Drehung
mit einer geschickten Handbewegung; es reicht ein kurzes Hantieren und
Schieben, und sie stürzen ins Licht und rufen: »Na bitte!«, als wären sie
selbst darauf gekommen. Demnächst packt ihr für die Königin, sagt er, wenn sie
nach The
More geht,
dem Landsitz des Kardinals, und sie sagen erstaunt: Wirklich, Master, und was
ist, wenn die Königin nicht gehen will? Er sagt: Dann rollen wir sie in einen
Teppich und legen sie auf euren Wagen. Er verteilt Münzen: Macht langsam, es
ist viel zu heiß für so schwere Arbeit. Er schlendert zu den Jungen zurück. Ein
Mann führt Pferde heran, die an den Wagen mit den Jagdhunden angeschirrt werden
sollen; sobald diese den Geruch der Pferde wittern, veranstalten sie ein
aufgeregtes Gebell, das auch noch zu hören ist, als sie schon auf dem Wasser
sind.
Der Fluss ist braun, träge; am
Ufer von Eton gleitet eine Gruppe von lustlosen Schwänen in die Gräser und
wieder hinaus. Ihr Boot schaukelt unter ihnen; er sagt: »Ist das nicht Sion
Madoc?«
»Du vergisst wohl nie 'n
Gesicht, was?«
»Nicht, wenn's hässlich ist.«
»Haste dich mal selbst
angeguckt, Junge?« Der Bootsführer hat einen Apfel mitsamt Kerngehäuse
gegessen, jetzt schnipst er pingelig die Kerne über den
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