Mantramänner
klang nicht schlecht. Das klang gut. Sogar sehr gut.
»Jeder findet den ihm bestimmten Weg«, säuselte Buddha.
Entschlossen schlug ich die letzte Seite des Flyers auf. Dort stand eine Telefonnummer. Wenn ich Glück hatte, erreichte ich jetzt noch jemanden. Gleich morgen wollte ich meine erste Probestunde nehmen. Und vielleicht hinterher mit einer meiner Freundinnen zum Inder.
Ich bekam wieder Hunger.
Ich wollte gerade abheben, da schrillte das Festnetztelefon mich an. Meine Mutter schon wieder?
Und wenn es Chris war?
War das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?
Ich beschloss, erst einmal zu warten, bis sich der Anrufbeantworter einschaltete. Dann konnte ich immer noch sehen.
Und wenn er es dann wirklich war?
Dann würde ich natürlich drangehen.
Nein, falsch: Dann würde ich auf gar keinen Fall drangehen.
Der Anrufbeantworter schaltete sich ein. Aus dem Lautsprecher drang ein Besetztzeichen. Aufgelegt.
Das hier war alles sowieso viel zu aufregend. Buddha hatte recht. Aber so was von recht.
Ich würde jetzt etwas ungeheuer Achtsames tun. Vielleicht eine Tasse Tee trinken. Auch wenn ich nur Ostfriesenmischung im Beutel
hatte. Und eine Café-del-Mar-CD einlegen. Klang so ähnlich wie das, was wir gestern Abend bei Melli gehört hatten. Mit viel »Om«-Gesang und Didgeridoos dabei. Ab morgen würde ich ein neuer Mensch werden. Freundlich und sensibel und abgeklärt und wahnsinnig gelenkig.
Als das Telefon das nächste Mal klingelte, erschrak ich nicht einmal mehr.
Yoga war wirklich eine tolle Sache.
BHUJANGASANA
Die Kobra (Bhujangasana) wirkt öffnend und befreiend. Sie ist vor allem hilfreich in Lebenssituationen, in denen wir neues Selbstbewusstsein schöpfen und uns unserer Ideale bewusst werden möchten.
Meine Aufgabenliste für den nächsten Arbeitstag bestand aus drei Punkten.
Am Vormittag surfte ich im Internet auf der Suche nach einer Seite, auf der man sich gratis Planetentöne zum Download herunterziehen konnte. Nicht sonderlich erfolgreich.
Mittags kaufte ich offline zwei Duschgels, ein rotes mit dem Namen Energy und ein blaues mit dem Namen Meditation. Das klappte schon besser.
Nachmittags schnitt ich in mühevoller Kleinarbeit Buchstaben aus Zeitungen, Zeitschriften und alten Sunny-Side-Pressemitteilungen aus und bastelte eine Collage auf einem leeren Druckerpapierblatt zusammen. Das funktionierte ganz hervorragend. Das Einzige, das mich ab und an in meiner Konzentration störte, war die kleine Fanfare, mit der neue E-Mails in meinem Postfach eintrudelten. Noch immer erschrak ich jedes Mal, halb voll Panik und halb voll Hoffnung, und war dann gleichzeitig enttäuscht und erleichtert, wenn kein Chris dahintersteckte. Ich ließ sie alle ungeöffnet bis auf eine einzige. Die machte mich neugierig. »Aussprache« lautete der Betreff. Absender war ein gewisser Hansjörg127. »Liebe Evke«, schrieb Hansjörg127, »ich habe in der letzten Zeit viel über unser Verhältnis in der Vergangenheit nachgedacht und weiß, dass ich dabei
keine besonders gute Figur gemacht habe. Ich würde mich freuen, wenn wir endlich einmal ungestört über alles reden könnten. Außerdem gibt es Neuigkeiten, die ich Dir nicht vorenthalten möchte. Melde Dich doch bitte bald bei mir.«
Mein Papa. Der gute Hansjörg. Darauf konnte er lange warten. Ich hatte schließlich auch lange gewartet, und zwar umsonst. Zugegeben, der letzte Satz machte mich neugierig. Aber auch wieder nicht so sehr. Ich hatte schließlich Dringenderes zu tun. Erpresserbriefe basteln, zum Beispiel.
Um Viertel vor sechs warf ich den letzten Blick auf mein Machwerk und war äußerst zufrieden. Es gelang mir sogar, den Zettel unbemerkt im Lift anzubringen, obwohl ich zur Rushhour das Büro verließ. Ein klarer Standortvorteil, wenn man im siebten Stock einstieg. Nur das Pokerface bei der Fahrt ins Erdgeschoss fiel mir schwer, während die einsteigenden Kollegen grinsend meinen fingierten Erpresserbrief lasen.
»Wir haben Ihre Bärchentasse«, stand dort, »es geht ihr den Umständen entsprechend gut, und es liegt an Ihnen, ob das auch so bleibt. Verhalten Sie sich ruhig und erwarten Sie weitere Forderungen. Kommando Dark Side.«
Was genau ich fordern würde, wusste ich noch nicht. Zum einen hatte das Buchstabenkleben länger gedauert, als ich geahnt hatte, und ich hatte einfach keine Zeit mehr gehabt, wenn ich abends pünktlich im Yogazentrum sein wollte.
Zum anderen hatte ich keinen Schimmer, wo die Bärchentasse abgeblieben war.
Heute war
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