Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte
ERSTES KAPITEL
ZIMTSTERNE
»Schau, dass’d weiterkummst, fette Urschel!«
Miriam kann die mürrisch hervorgebrachten Worte kaum verstehen, aber die mimische Reaktion des unwilligen alten Taxifahrers auf ihre gewagte Frage ist mehr als deutlich. Sie soll sich verziehen. Und da sie das nicht schnell genug tut, schiebt der bayerische Zausel gleich noch ein paar wütend herausgepolterte Sätze hinterher.
»Umasonst in moanem Taxi fahren? Für ein paar nette Worte und a vages Versprechen auf a spätere Zahlung? Na! Umasonst ist der Tod! Such dir an andern Idioten!«
Der alten Alkohol ausdünstende Bayer mit Hut schlägt die Tür seines Kleinbusses zu. Peinlich berührt zieht Benedikt seine Tante vom Taxistand weg.
»Komm, Tante Miri! Wir schaffen das auch anders.«
Miriam ist nicht in der Lage zu antworten, denn ihr ist schlecht. Sie hasst es, herablassend behandelt zu werden. Bene ebenfalls. Er zeigt dem Mann einen Vogel. Mit seinen zehn Jahren reagiert Miriams hübscher Neffe mit den dunklen, intensiven Augen fast so extrem auf Demütigung wie sie. Bene wirft einen letzten wütenden Blick in Richtung Taxistand.
»Fette Urschel! So was sagt man nicht zu einer Schwangeren! Was ist überhaupt eine Urschel?«
Miriam legt ihren Arm um den Jungen.
»Wahrscheinlich so ein dummes Kamel wie ich, das auch heute noch an Wunder glaubt.«
Bene sieht seine Tante zweifelnd an.
»Wir brauchen aber im Moment kein Wunder, sondern einfach nur Geld, oder ein Auto, oder aber am besten beides. Wen könnten wir denn sonst noch fragen? Jemanden aus dem Kindergarten?«
Miriam will dem Jungen nicht zeigen, wie groß ihre Verzweiflung inzwischen ist, aber sie will ihm auch nichts vormachen.
»Wir schulden schon so vielen Leuten Geld. Immer habe ich alle vertröstet, aber jetzt weiß ich einfach nicht mehr, wie es weitergehen soll! Ich muss unbedingt heute noch zu dieser Hebamme. Wo ist überhaupt deine Schwester? War sie nicht gerade noch hier?«
Bene sieht sich ebenfalls um.
»Ich sehe sie. Warte …«
Schon ist er losgelaufen. Miriam ist froh, einen Moment lang unbeobachtet zu sein. Vor Bene und Anna-Sophie versucht sie sich meistens stark und zuversichtlich zu zeigen, aber so kurz vor ihrer Niederkunft ist Miriam oft den Tränen nah. Dieser Tage wird ihr alles schnell zu viel. Nicht einmal der Weihnachtsmarkt an der Münchner Freiheit, dessen fröhliche Buden zu dieser Stunde in ein magischblaues Dämmerlicht getaucht sind, bietet ihr heute Trost. Miriam ist einfach nur verzweifelt, denn ihre Situation wird von Tag zu Tag verfahrener. Ihr bleibt nur noch so wenig Zeit, bevor das Baby kommt. Hätte vor einem Jahr ihre Kollegin an der Dresdner Hochschule in die Kristallkugel geschaut und prophezeit, dass Miriam im folgenden Jahr kurz vor Weihnachten mit zweieinhalb Kindern, aber keinem einzigen Cent, am Münchner Weihnachtsmarkt um ein Grillwürstchen für Anna-Sophie betteln würde, hätte sie ihr ins Gesicht gelacht. Pleite? Hoffnungslos? Der Willkür der unterbesetzten Münchner Behörden ausgeliefert? Miriam hatte in Dresden nie Schwierigkeiten gehabt. Überhaupt war ihr Leben nie besonders kompliziert gewesen. Obwohl sie immer in künstlerischen Berufen gearbeitet hatte, lief vor allem finanziell alles in halbwegs geordneten Bahnen. Nach dem Abitur und ihrem Studium an der Dresdner Hochschule für Musik war ihr bisheriger Werdegang, von ein paar unüberlegten Männerturbulenzen abgesehen, eher gradlinig. Ob im Chor, bei den Bühnenproben und der Orchesterarbeit oder bei ihrer Lehrtätigkeit, überall waren Miriams Mitarbeit und ihre fröhliche Präsenz willkommen gewesen. Alles, was noch gefehlt hatte, war der richtige Partner, um zu heiraten und ein Kind zu bekommen. Immer schon hatte sich Miriam nur ein Kind vorstellen können. Der Mann, mit dem sie in Dresden seit ein paar Jahren zusammenlebte und der Miriam heiraten wollte, fand sogar ein Kind überflüssig. Sie waren sich in diesem Punkt nie ganz einig gewesen. Da Miriam auf die vierzig zuging, hatte sich in ihr eine zunehmende Unruhe breitgemacht, aber sonst lief alles in der Beziehung nach Plan.
Bis zu dem schwarzen Dienstag im vergangenen Februar hatte Miriam auch viel und gerne gelacht. Es war immer ein echtes, ein herzliches Lachen gewesen, denn Miriam war rundum glücklich und zufrieden in ihrer Geburtsstadt Dresden.
Hier in München sieht es anders aus. Das ganze Jahr über hat sie hier so verzweifelt kämpfen müssen wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Und
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