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Mariana: Roman (German Edition)

Mariana: Roman (German Edition)

Titel: Mariana: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Kearsley
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Spätnachmittags dichter und länger wurden. Ich konnte Geoff und Iain sehen, die immer noch im Rosengarten in der Nähe der Friedhofsmauer standen, der dunkle Kopf war lauschend dem rostroten zugeneigt, indes Iain sich auf seinen Spaten gestützt hatte und sprach.
    Ich beobachtete sie nur einen kurzen Augenblick, bevor mein Blick ein zweites Mal verschwamm, diesmal vor Tränen. So schnell ich sie auch wegzublinzeln versuchte, so schnell stiegen sie aus einer scheinbar unversiegbaren Quelle in mir wieder auf und traten heiß in meine brennenden Augen. Es war dumm zu weinen, sagte ich mir fest. Absolut dumm. Schließlich war es nur ein Kuß, und er war vor so langer Zeit geschehen … vor gar so langer Zeit …
    Ich hörte zögerliche Schritte auf dem Parkettboden hinter mir, gefolgt von einem unsicheren Räuspern. »Entschuldigen Sie, Miss, aber … kann ich Ihnen irgendwie helfen?« Es war die Stimme eines Mädchens, und auf einmal fielen mir die Fremdenführerinnen wieder ein.
    Ich drehte mich um und sah, wie das Gesicht des Mädchens sich aufhellte, als sie mich erkannte. »Ach Sie sind’s, Miss Beckett. Ich konnte mir nicht vorstellen, wer … aber«, unterbrach sie sich stirnrunzelnd, »fühlen Sie sich nicht wohl?«
    Ich hob eine Hand an mein brennendes Gesicht und fühlte, wie die Tränen mir über die Wangen liefen, schockiert, daß ich nichts tun konnte, um sie zu stoppen. Mit Erleichterung hörte ich die ruhige, klare Stimme von Mrs. Hutherson von der Tür her zu mir dringen.
    »Keine Sorge, Sally«, sagte sie gleichmütig und entließ damit das junge Mädchen, »Miss Beckett hatte nur einen kleinen Schock, das ist alles. Du kannst jetzt weiter abschließen.«
    Sie hätte meine Mutter sein können, wie sie mich fest am Arm nahm, mich aus der großen Empfangshalle und durch den langen Korridor in die Küche führte und die ganze Zeit dabei freundlich auf mich einredete. Ich hörte nicht wirklich etwas von dem, was sie sagte, aber die stille Kraft ihrer Stimme beruhigte mich, und als sie mich schließlich auf einem der Küchenstühle plaziert hatte, hatten sich meine Tränen zu einem leichten, von kleinen Schluckaufanfällen unterbrochenen Schniefen abgeschwächt.
    »Na also«, sagte sie und tätschelte beschwichtigend meine Schulter. »Was du jetzt brauchst, ist eine gute, starke Tasse Tee.«
    Eine gute, starke Tasse Tee, dessen war ich mir sicher, würde Alfreda Huthersons erste Reaktion auf jede Krise sein.
    Sie setzte den Kessel auf den Herd und sah mich mit mitfühlenden Augen an. »Es war ein ganz schöner Schock für dich, nehme ich an, daß es auf diese Weise passiert ist.«
    »Er hat mich geküßt«, sagte ich, als ob das alles erkläre.
    »Ja, mein Liebes, ich weiß. Nun wisch dir dein Gesicht damit ab«, wies sie mich an und reichte mir ein feuchtes Tuch. »Die Männer werden jede Minute aus dem Garten hereinkommen.«
    Ich wischte mir das Gesicht und trocknete es ab, wobei ich mich mit Mühe zusammenriß. Plötzlich fiel mir wieder etwas ein, und ich sah mit einem Ruck auf, denn der Gedanke beunruhigte mich. »Ich konnte es nicht zurückhalten«, berichtete ich ihr. »Zuvor konnte ich es immer unterdrücken, aber diesmal konnte ich es nicht zurückhalten.«
    »Nun ja«, ihre blauen Augen blickten mich sehr weise an, »dann hast du also eine wertvolle Lektion gelernt, nicht wahr? Du kannst das Schicksal nicht betrügen, Julia. Wenn du nicht nach den Lehren der Vergangenheit suchst, dann wird die Vergangenheit dich aufsuchen.«

Kapitel vierundzwanzig
     
    Ich dachte oft an diese Worte während der nächsten Tage und grübelte lange über ihre Bedeutung nach. Nicht daß ich damals irgendeine Vorstellung davon gehabt hätte, was die Lehren der Vergangenheit sein könnten. Ich wußte nur, daß sich die Vergangenheit – meine Vergangenheit – nicht ignorieren ließ und daß die Reise dorthin immer schwerer werden würde, je länger ich sie aufschob, und zwar sowohl körperlich als auch seelisch. Und nach meinem letzten Erlebnis war ich mir auch nicht mehr sicher, ob ich diese Reise noch länger aufschieben wollte. Wie verstörend dies auch sein mochte, so mußte ich doch zugeben, daß die Erinnerung an einen schon lange toten Mann einen mächtigeren Einfluß auf mich hatte als alles, was mir im heutigen Leben begegnete.
    Wenn dieser Gedanke auf mich verstörend wirkte, so wirkte er auf Tom ganz und gar erschreckend. Ich konnte das Ausmaß seiner Mißbilligung sogar durch die Telefonleitung

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