Mariana
ihr Genick nicht so steif gewesen, dann hätte sie den Kopf in den Nacken geworfen.
Mary stieß ihre Mutter dauernd in die Seite und flüsterte: «Wann können wir endlich gehen?» Aber eine weitere Prüfung stand bevor, und Mrs. Shannon hatte noch nicht genügend Mut aufgebracht, sich ihr zu unterziehen. Nicht nur Mary, auch sie selbst hatte ihrer Mutter etwas mitzuteilen.
Und zwar ganz einfach dies: Sie würde Gerald Rigley heiraten.
Seit Jahren hatte seine Frau bleich und durchsichtig auf der Chaiselongue gelegen, es abgelehnt, sich von ihm scheiden zu lassen, und Nervenzusammenbrüche bekommen, wenn er das Thema nur berührte. Eines Tages, nachdem sie alle medizinischen Werke im Haus studiert hatte und keine neuen Leiden mehr entdecken konnte, vielleicht auch in der Überzeugung, daß sie Geralds Leben gründlich verdorben hatte und nun ein neues Opfer brauchte, war sie mit dem Innenarchitekten durchgegangen, der ihr Schlafzimmer neu einrichten sollte. Das Durchgehen war natürlich nicht wörtlich zu nehmen, sie war erschöpft in einem beigefarbenen Auto davongebraust, wie die Köchin berichtete, die am Küchenfenster Bohnen geschnitten und die Abfahrt beobachtet hatte.
Als ihre Mutter Mary die Notiz in der Southamptoner Zeitung zeigte, in der es hieß, daß Mr. G. E. V. Rigley, Facharzt für Orthopädie im King’s Krankenhaus, wohnhaft Hill House, Wickham, wegen des im Royal-Hotel, Droitwich, Spa, mit Mr. Munroe Stevenson begangenen Ehebruchs seiner Frau geschieden worden sei, sagte Mary nur: «Ein Glück, daß er sie los ist.»
«Jetzt erlaube ich dir, mit ihm auszugehen», hatte sie lachend hinzugefügt, und da hatte ihre Mutter sie plötzlich ganz flehend angesehen und war herausgeplatzt: «Was würdest du sagen, wenn er dein Stiefvater würde?»
Mary war zunächst starr vor Staunen. Ihre Mutter wollte Gerald heiraten? Gerald, den treuen Airedale-Terrier, der über die albernsten Witze lachte, einem unweigerlich auf die Schleppe des Abendkleides trat, wenn er hinter ihnen durch die Tür ging, Gerald, den Mann, der im Mittelgang des Palladiums der Länge nach hinfiel, und der von Langeweile übermannt in der Queen’s Hall einschlief. Sie wußte, daß ihre Mutter ihn gern hatte. Er bedeutete für sie das gleiche, was Bingo, der kleine Terrier, den Sam ihr geschenkt hatte, für Mary bedeutete. Aber sie hatte ja auch nicht die Absicht, Bingo zu heiraten.
Doch als sie sich an den Gedanken gewöhnt hatte und sah, daß ihre Mutter vor lauter Glück direkt wieder jung geworden war, und nicht einmal mehr das welterschütternde Problem «Krinolinen. für die Debütantinnen — ja oder nein?» ernst nahm, da erkannte Mary, daß sie selbst das Leben ihrer Mutter nicht besser hätte gestalten können.
Bei all ihrem eigenen Glück hatte es sie bedrückt, daß sie nun im Geschäft aufhören und ihre Mutter allein lassen mußte. Jetzt sah es so aus, als ob Mrs. Shannon den Salon — sobald sich ein Käufer fand — verkaufen und sich in die behagliche Geborgenheit des Meon-Tals zurückziehen würde, um dort einen Mann zu umsorgen, dessen rötlicher Schnurrbart beim Küssen piekte und dessen Lieblingsautoren Sapper und E. Phillips Oppenheim waren.
Unglaublich, aber wahr. Auch sickerte jetzt durch, daß es Gerald war, der ihr vor drei Jahren die tausend Pfund geliehen hatte. Das Leben war voller Überraschungen. Heute genau wie damals fügte sich das Zusammensetzspiel mit unheimlicher Selbständigkeit ineinander.
Als Mrs. Shannon Marys Rippenstöße und Sams Grimassen nicht länger ignorieren konnte, stellte sie sich am Fußende von Großmutters Bett auf und sagte hastig: «Übrigens, Mutter, ich werde mich wieder verheiraten. Er heißt Gerald Rigley. Aber du darfst noch nicht darüber sprechen.» Eisiges Schweigen folgte ihren Worten.
«Und warum darf ich noch nicht darüber sprechen?» erkundigte sich Großmutter, die wie nach einem Tiefschlag erst allmählich wieder zu sich kam.
Ihre Tochter holte tief Luft. «Weil seine Scheidung noch nicht rechtskräftig ist», sagte sie, und ihr tapferer Versuch, unbekümmert zu erscheinen, erstarb in der Grabkammeratmosphäre des Zimmers.
Großmutter kam zum zweiten Mal zu sich. «Du willst einen geschiedenen Mann heiraten», stieß sie hervor. «Annie soll mir sofort meine Tabletten bringen. Du hast mir mit dieser Mitteilung einen Schock versetzt.»
In Wahrheit machte es ihr aber gar nichts aus. Sie spielte Theater und unterhielt sich vorzüglich dabei. Mrs.
Weitere Kostenlose Bücher