Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mariana

Mariana

Titel: Mariana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica Dickens
Vom Netzwerk:
paar Telegramme auf dem Tablett. Das Leben war aufregend! Eines der Telegramme kam überraschenderweise aus Dulwich. Großmutter hatte ein Brieftelegramm geschickt, das war billiger. Die arme, alte Annie hatte zur Post hinuntertrotten müssen, und sicher war sie bei jedem Schritt umgeknickt, denn sie hatte schwache Knöchel.
    Seit Jahren schon hatte sich Großmutters Leben innerhalb der Mauern ihres Hauses abgespielt. Seit ihrer Erkrankung war es nun auf die stickige Museumsatmosphäre ihres Schlafzimmers beschränkt. Sie lag auf ihrem hohen Bett, das aussah, als sei es für eine Wöchnerin gedacht, wie in einer Art Gefängnis. Sie lebte, aber sie hatte nichts mehr davon. Annie pflegte zwar vor sich hinzumurmeln, daß die «arme, alte Dame» durchaus noch im Besitz ihrer geistigen Fähigkeiten sei, aber die waren eigentlich schon, bevor sie sich mit ihrem schiefsitzenden Spitzenhäubchen auf dem Kopf in ihr Bett zurückzog, nie sehr beachtlich gewesen.
    Als Mary Sam nach Dulwich mitgenommen hatte, um ihn Großmutter vorzustellen, hatte diese so getan, als gefalle er ihr, aber während sie über unwichtiges Zeug schwatzte, hatte Mary den wohlbekannten lauernden Blick in ihren Augen gesehen, der deutlich ihre schwarzen Gedanken verriet.
    «Was für ein hübscher Ring», hatte sie gesagt und mißbilligend unter ihrer Haube hervorgespäht, «nimm ihn doch mal ab, ich möchte ihn mir ansehen.»
    Mary hatte Sam, der unbehaglich an der anderen Seite vom Bett stand, fragend angeblickt, denn sie hatte den Ring nicht mehr abgenommen, seit er ihn ihr am Weihnachtsmorgen auf den Finger gesteckt hatte. Er hatte hilflos mit den Schultern gezuckt und sich im voraus resigniert mit allem abgefunden, was sich in diesem schrecklichen Raum abspielen würde, in diesem Raum mit den bedrückenden Möbeln und Vorhängen, die aussahen, als würden sie bei der leisesten Berührung in Staub zerfallen. Das Zimmer hätte der Schauplatz einer Geschichte von Edgar Allan Poe sein können. Während Mary den Ring vom Finger zog, sah sie Sam mit einem um Entschuldigung bittenden Blick an und stellte fest, daß er geradezu ungehörig gesund aussah.
    Als sie Großmutter den Ring gab, behielt die alte Dame ihn einen Augenblick in der Hand und ließ ihn dann fallen. Mary wußte, daß sie nichts dafür konnte, aber als sie auf dem schäbigen Teppich herumkroch, um den Ring zu suchen, erstickte sie beinah vor Zorn und Staub. Warum verlangte sie den Ring, wenn sie wußte, daß sie ihn nicht festhalten konnte?
    Nachdem sie wieder aufgestanden war, sagte Großmutter: «Ich möchte ihn mir ansehen», als sei nichts gewesen. Als sie den Ring zum zweiten Mal fallen ließ, rollte er unters Bett.
    Mary biß sich auf die Lippen, warf ihrer Mutter einen wütenden Blick zu und tauchte hinein in die dunkle, abscheuliche Höhle, deren Dach quietschte und stöhnte, als Großmutter sich auf den gleichsam protestierenden Sprungfedern herumwälzte. Es war genug Platz, so daß sie Kopf und Schultern unters Bett zwängen konnte. Sie tastete alles ab und schauderte zurück vor dem, was sich als Ergebnis von Annies jahrelangem Saubermachen dort angesammelt hatte. Ihr schöner Ring — den würde sie nie wiederfinden. Ihre suchende Hand berührte unaussprechliche, scheußliche Gegenstände, und plötzlich fühlte sie zu ihrem Entsetzen die Wärme menschlichen Fleisches.
    Dann hörte sie Sam ganz dicht neben sich lachen und husten. Er war von der anderen Seite unters Bett gekrochen.
    «Ich hab ihn», sagte er und küßte sie in der schauerlichen Gruft unter Großmutters Bett, die nun nicht mehr ganz so schauerlich schien. Als er wieder hervorkroch, hatte er eine Staubflocke in der Augenbraue und eine Spur Lippenstift auf seinem Mund. Großmutter beobachtete ihn düsteren Blickes und nannte ihn «Mr. Hubbard».
    Annie kam mit einem alten Zinntablett hereingestolpert und brachte schwarzen, bitteren Tee. Dann ging sie nochmals hinaus und kehrte ungnädig mit einer Platte voll Butterbroten, zäh wie Pappe, und einer versteinerten Biskuitrolle zurück. Großmutter brauchte Hilfe beim Essen.
    «Ich kann allein, ich kann allein», beschwerte sie sich, als Annie ihre krampfhaft zugreifenden Hände ignorierte und ihr die Tasse an die Lippen hielt.
    «Das können Sie eben nicht», erwiderte Annie bissig. «Sie haben vielleicht vergessen, was neulich passiert ist, als ich Sie den Suppenteller halten ließ, aber ich nicht. Wer mußte das Bett frisch beziehen, wenn ich fragen darf?» Wäre

Weitere Kostenlose Bücher