Marienplatz de Compostela (German Edition)
Weg. Am Abstieg dann ragten scharfe Klingen aus dem Holz und sie tat so, als würde sie es nicht schaffen nach unten zu kommen. Sie rannte so lange auf dem oberen Boden herum, bis er entnervt abbrach und sie den Weg durch den Tunnel zurückgehen ließ. Dafür musste er einen Schacht öffnen, den er geschlossen hatte, nachdem sie hindurchgekrochen war. Obwohl sie ihn nicht sah, war klar: Er hatte Kontrolle über sie, wusste, in welchem Segment sie sich bewegte.
An die Träger unter der Decke zu gelangen, das war unmöglich. Viel zu hoch. Die Hitze in den Gängen und Räumen war schrecklich, nahm einem den Atem und sie war es letztlich, die einen durch die dunklen Kammern, Gänge, Schächte und Treppenkamine trieb – bis zum Pendel, wo es ihr bei den ersten Malen schlecht geworden war, als sie im Halblicht die schwarzroten Flecken am Boden sah und eine Ahnung bekam, was hier geschehen sein konnte. LED s sorgten für grelle Lichtflecken und jenseits davon war es umso finsterer. Durch eine Luke hatte sie einmal das Ding gesehen, mit dem er die Heißluft in die Kammern blies. Ein Gasbrenner, wie sie in Bierzelten verwendet werden, wenn der bayerische Sommer eine Enttäuschung bereitete.
Einen zweifelhaften Schutz bot der zentrale Tunnel, der im Zickzack von einer Seitenwand zur anderen bis nach vorne zum Pendel führte. In ihm konnte man die engen Schächte, Höhlungen und Durchstiege umgehen, die voller Stromfallen und Nagelstellen waren. Das System wollte einen im Tunnel haben, denn dort erwartete einen ein menschlicher Gegner – und Waffen. Armbrüste lagen herum und einige Bolzen dazu. Ab und zu Speere. Sie bevorzugte die Armbrüste. Die Wendestellen des Tunnels boten Deckung. Wer es war, der da auf sie schoss, wusste sie nicht, sie hatte aber das Gefühl, er zielte absichtlich daneben. Es war günstig einige Bolzen zu sammeln, die im ersten Segment in den Räumen und Gängen verteilt lagen. Sie kannte die Stellen inzwischen. Dann konnte man nachladen.
Einige Male durfte sie alleine in den Tunnel, ohne Hitze. Nur um das Schießen zu üben. Sie mochte die Armbrust. Die Konzentration auf das Ziel – eines der großen Lochbleche an einer der Holzwände – ließ einen alles vergessen. Sie entdeckte dabei, eine gute Schützin zu sein; eine Schützin, die den Willen hatte ihren Schuss zu finalisieren.
Nach den Übungen gab es immer frisches Wasser und sie durfte duschen. In einem fensterlosen, dusteren Raum konnte sie dies tun – wirklich allein. Ein Trainingsanzug und frische Wäsche lagen anschließend im gekachelten Vorraum. Der Typ hatte sie wirklich in Ruhe gelassen und nicht herumgespannt. Das wunderte sie. Insgeheim gestand sie sich die Enttäuschung darüber ein, denn sie hätte es darauf ankommen lassen. Sie – das brave Mädchen aus gutem Hause, hatte fantasiert, wie sie ihn herumkriegen konnte. Alles hätte sie getan, um ihm die Kette um den Hals zu legen und zu würgen, bis kein Zucken mehr in seinem Leib zu spüren gewesen wäre. Aber er schien sich nicht für sie zu interessieren. Das machte ihr Angst. Obwohl sie posierte, ihren Körper ohne Scham zeigte, spürte sie, dass seine Blicke nicht die eines gierigen Mannes waren. Er sah sie an, wie ein Ding, wie ein geschlechtsloses Wesen.
Er konnte sich vermutlich gar nicht vorstellen, welche Lust sie hatte ein Ding für ihn zu sein, wenn es ihr eine Chance hätte bringen können. Niemals zuvor wären ihr Gedanken über Derartiges in den Sinn gekommen – warum auch, bei ihrem behüteten Leben. Jetzt wusste sie, was ein Mensch bereit war zu tun … für ein Glas Wasser. Der Hunger wäre es nicht gewesen, aber der Durst, der hatte sie ihre Haltung aufgeben lassen. Sie lachte laut auf, über ihre Gedanken: Welche Haltung denn? Welche Haltung aufgeben, wenn es darum ging zu überleben. Haltungen hatte da keinen Raum mehr; waren überflüssiger Luxus? Sie wollte trinken, weil sie durstig war – da gab es keine Haltung, die zu bewahren gewesen wäre. Es war im Grunde ganz einfach. Sie kroch zur Matratze, ließ sich auf den Rücken gleiten und fühlte das Weiche. Im Geist zeichnete sie den Weg, den sie heute genommen hatte nach. Noch keine war so gut wie sie gewesen . Wo waren die anderen geblieben, die nicht so gut gewesen waren?
Sie verdrängte diese Gedanken und ließ sich auf die Seite fallen, wo der Pizzakarton lag. Sie brauchte Kraft für den nächsten Level.
Sie hörte ihn. Er spielte draußen weiter. Nicht weit entfernt musste er am Boden
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