Marienplatz de Compostela (German Edition)
musste jeden Augenblick wieder zurück sein.
Wie an jedem Tag war er mit der U-Bahn bis zur Maillingerstraße gefahren und hatte oben am Ausgang das Spalier an Zeitungsständern in Augenschein genommen. Ein Blick, der einem schnell die Lage der Nation vermittelte. Seit einigen Jahren war es beliebt von Schneekatastrophen zu titeln, wenn es schneite, und von Glutöfen, wenn die Sonne schien. Überschwemmungen waren mit Superlativen schon gar nicht mehr darzustellen.
Er hatte eine Weile gebraucht, bis er realisiert hatte, welches Foto da auf dem Titel der einen Zeitung abgedruckt war und sofort eines der Taxis gekapert, die gegenüber am Bio-Basic standen. Anne Blohms Eltern sollten nicht unvorbereitet damit konfrontiert werden und an ihren Gefühlen verzweifeln – denn es war nicht das Bein ihrer Tochter.
Blohm war fürchterlich erschrocken, als er Hartmann erkannte. Sein ganzer kräftiger Körper hatte sich im Bruchteil einer Sekunde verkrümmt und sich während der ganzen Zeit, in der Hartmann im Hausgang stand, nicht mehr entspannt. Seine Frau war beruhigter und dankbar um den frühen Besuch, der doch die Sorge um ihr Befinden zum Grunde hatte. Sie nahmen die Nachricht von dem Fund gefasst auf. Die Ungewissheit, die blieb, fühlten sie nun wie Zuversicht.
*
Als das Team bald darauf zusammenkam, sagte Bucher: »Du wirst deinen Freund, diesen … diesen …«
»… Zenner …«, ergänzte Hartmann.
»… genau den … Zenner … den wirst du mal ins Gebet nehmen müssen.«
»Kann mir nicht vorstellen, dass er was mit dem Foto zu tun hat«, meinte Lara Saiter, »jeder hat doch heutzutage so ein elendes Smartphone und da ist ein Foto schnell gemacht. Wahrscheinlich dürfen wir froh sein, nicht schon als Serie auf youtube zu laufen – the Ermittler .«
»Ich meine ja gar nicht, dass Zenner das Foto gemacht hat und für ein paar Silberlinge an die Pressemafia verscheppert hat. Aber er war der Verantwortliche vor Ort; aber lassen wir das jetzt. Was haben wir zu den drei Vermisstenfällen Neues?«
Lara Saiter kramte ihren Notizblock hervor und erzählte von den Telefonaten, die sie geführt hatte. Der Freundschaftskreis von Anne Blohm hatte sich vor knapp einem Jahr zerstreut. Ihre beste Freundin, eine Verena, lebte inzwischen in Libourne, nahe Bordeaux. Sie war Außenhandelskauffrau und arbeitete in einer Weinhandelsfirma. Anne Blohm wollte sie dort besuchen. Die beiden hatten sich auf die gemeinsamen Tage gefreut und sie lachte nur, als Lara fragte, ob Anne Blohm eine depressive Phase durchlebte. Auch zwei andere Freundinnen hatten München verlassen. Eine hatte nach Paderborn geheiratet.
»Nach Paderborn geheiratet …«, wiederholte Hartmann, »… unverständlich, völlig unverständlich … das muss eine sehr große Liebe sein … Paderborn.«
Bucher zog ein Resüme: »Bruder verunglückt, Freundeskreis zerstreut, Beziehung beendet, erfolgreicher Job gegen Problem getauscht – da tut eine Auszeit schon gut.«
Lara stimmte zu. »Das sehe ich auch so. Aber noch mal zu dieser Paderbornerin, die etwas Interessantes gesagt hat. Sie war gar nicht so entsetzt über Anne Blohms Verschwinden und meinte, sie hätte Anne Blohm in letzter Zeit eigenartig gefunden.«
Hartmann sah auf. »Eigenartig? Sagte sie eigenartig ?«
»Ja. Sie hatte bei den Telefonaten das Gefühl, Anne Blohm würde ihr etwas verschweigen … seit einem guten halben Jahr etwa. So ein Gefühl halt.«
»Hat sie Anne Blohm darauf angesprochen?«, wollte Bucher wissen.
»Nicht direkt, eher in so versteckten Fragen wie: Ist alles in Ordnung, geht’s dir wirklich gut, gibt es da was … einen Neuen …? Anne Blohm soll dem ausgewichen sein.«
»Und die sogenannte beste Freundin in Frankreich, die hat das nicht so deutlich mitgekriegt?«, fragte Batthuber.
»Nein. Ich habe sie danach gefragt, aber sie hat das nicht so empfunden. Einer von den Typen in der Firma muss sie recht angeschleimt haben. Einen Namen habe ich aber nicht.«
Batthuber und Hartmann sahen sich an. Zeitgleich sagten sie: »Buntzl?«
Bucher war unzufrieden. »Das bringt uns alles nicht weiter. Von den Eltern ist nichts zu wollen. Die sind der Meinung, alles sei wunderbar gewesen im Leben ihrer Tochter und die Mutter betrauert den Schwiegersohn, den sie gerne gehabt hätte. Ich vermute, Anne Blohm hat ihre Probleme von ihren Eltern ferngehalten – um sie nicht zu belasten. Von ihnen werden wir nichts erfahren können, was uns weiterhelfen
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