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Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Titel: Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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fiel ihr wieder ein, sie fuhr herum, ihr Blick irrte umher. Sie musste ihn finden. Derjenige, der ihn geschrieben hatte, musste für Christians Tod verantwortlich sein.
    Sie rannte zum Sekretär ihres Großvaters, zerrte alle Schubladen heraus und kippte ihren Inhalt auf den Boden. Jeden Fetzen Papier drehte sie um, in jeden Umschlag spähte sie hinein, bevor sie ihn einzeln zurücklegte, um nur ja nichts zu übersehen. Der Stapel schrumpfte schnell. Nichts. Wie war das möglich? Sie ließ sich auf den Rücken fallen. Denk nach, befahl sie sich. Um den Brief zufällig zu finden, war er zu gut versteckt gewesen. Die Polizei konnte ihn nicht haben, denn sie hatte ihn schon vermisst, bevor sie hier gewesen war. Frank? Sie konnte sich nicht erinnern, ihn je hier am Sekretär gesehen zu haben, und allein im Haus war er, wenn sie sich recht erinnerte, nie lange genug gewesen, um es gründlich zu durchsuchen. Warum hätte er auch sollen, er konnte nichts von dem Brief wissen, sie hatte ihm ganz sicher nichts davon erzählt. Antonia allerdings wusste auch nichts davon. Trotzdem machte das vielleicht am meisten Sinn.
    Sie wünschte, sie hätte den Brief vernichtet, damals schon, sofort, als sie ihn entdeckt hatte. Dann wäre es sinnlos, sich jetzt noch vorzuwerfen, dass sie sich nie die Mühe gemacht hatte, ihn zu entziffern. Oder jemanden um Hilfe gebeten hatte. Blödsinn, schalt sie sich, das hättest du dich nie getraut. Doch, überlegte sie, sie hätte einfach irgendeinen Touristen ansprechen können, die erkannte man immer; wenn er ihr die Brillenlüge nicht geglaubt hätte – na und? Siehst du, es wäre so einfach gewesen … Sie stöhnte.
    Den Inhalt des Briefs zu kennen, und nicht bloß zu vermuten, war ihr nicht wichtig erschienen, schließlich hätte das an der Situation nichts geändert. Christian hatte sie verlassen, weil sie ihn belogen hatte, und ob es um die Vaterschaft ging oder darum, dass sie nicht lesen konnte, spielte keine Rolle. In dem Augenblick war nur wichtig gewesen, den Brief vor Antonia zu verstecken. Später dann, als es ihr allmählich besser gegangen war, hatte sie zwar manchmal an ihn gedacht, war jedoch immer davor zurückgeschreckt, ihn noch einmal hervorzuholen. Weil man schlafende Hunde nicht wecken sollte, wie Oma immer gesagt hatte. Wie dumm von ihr, wie nachlässig. Am schlimmsten allerdings wäre, schoss es ihr durch den Kopf, schmerzhaft wie ein Pfeil, wenn tatsächlich Antonia ihn gefunden hatte. Zwei Katastrophen wegen ungelesener Briefe würde sie ihrer Mutter niemals verzeihen.
    Das Telefon klingelte, und sie schnellte hoch. Frank vielleicht?, hoffte sie; manchmal kam es vor, dass er sich erkundigte, was sie so machte, was es zum Abendessen gäbe, ob sie ihn vermisste. Sie lief dem Klingeln hinterher, fand das Telefon auf dem Küchentisch, wo es vibrierte vor Ungeduld. »Hallo?«, rief sie atemlos, aber um Unbeschwertheit in der Stimme bemüht.
    »Zinkel, Kripo, Frau Tewes?«
    »Ja?«, sagte sie zögerlich. Ihr wurde ganz flau vor Angst, und alle Hoffnung dahin.
    »Wenn Sie bitte heute Nachmittag um fünfzehn Uhr zu uns kommen möchten?«
    Als wenn sie das ablehnen könnte, dachte sie ungehalten. Konnte sie?
    »Und bringen Sie am besten Ihre Anwältin mit«, empfahl er.
    »Okay«, sagte sie und legte einfach auf. Unmöglich, noch einen einzigen Satz zu ertragen, egal, wie vorsichtig formuliert.
    Es klingelte abermals. »Was denn jetzt noch?«, sagte sie laut und erwog, nicht dranzugehen. Sie schaffte es nicht, hatte es noch nie geschafft.
    »Tewes«, meldete sie sich flüsternd.
    »Lilian«, sagte Frank. »Was ist los? Du hörst dich furchtbar an.«
    »Dieser Polizist hat gerade angerufen. Ich muss da nachher hin, und ich soll die Anwältin mitbringen, sagt er. Ich hab Angst«, bekannte sie, »ich hab doch nichts getan. Was wollen die von mir?«
    »Ach, das wird schon«, sagte er. »Wenn du nichts getan hast, können sie dir auch nichts beweisen, das ist ja Quatsch. Ich weiß auch gar nicht, was das mit der Anwältin eigentlich soll. Damit macht man sich doch eher verdächtig, meinst du nicht? Bist du überhaupt im Rechtsschutz?«
    »Nein, oh Mann, daran hab ich noch gar nicht gedacht, das ist bestimmt –. Können wir das bezahlen?«
    »Na, daran soll’s nicht scheitern«, erklärte Frank, »mach mal, wie du meinst. Bis heute Abend, ja? Bussi.«
    Weg war er. Dabei hatte er ihr nicht mal gesagt, warum er überhaupt angerufen hatte. War wohl nicht so wichtig, nahm sie an. Trotzdem

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