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Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Titel: Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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war sie froh, dass er sich gemeldet hatte, sonst wäre sie tatsächlich in die Falle mit der Anwältin getappt. Mit dieser Anwältin, die wusste, dass sie nicht lesen konnte, und sie früher oder später verraten hätte.
    * * *
    Er legte den Blumenstrauß neben der Tür ab und schlenderte gemächlich durch ihre Wohnung. Eigentlich gab es derzeit keinen wichtigen Grund dafür, doch er konnte es nicht lassen. Er bückte sich nach dem Regal mit den Fotoalben: Der kleine Schnipsel Papier unter dem karierten Album war verschwunden. Dann hatte sie also nachgesehen, die Beweise für ihre einstige Zuneigung zur Kenntnis genommen. Sehr schön. Er würde ihr ein wenig Zeit lassen, sich an den Gedanken zu gewöhnen, wusste, dass es in ihr arbeiten würde, unbewusst, und irgendwann Früchte tragen. Jetzt packte ihn doch die Neugier, herauszufinden, was sich hier am Wochenende abgespielt hatte. Mit diesem Gelackten, der viel zu jung für sie war.
    Schlafzimmer. Immerhin sah es so aus, als habe sie allein in ihrem breiten Bett geschlafen, zumindest war nichts von einem zusätzlichen Kopfkissen, einer zweiten Decke zu sehen, auch war das Bett nicht zerwühlt, wie er befürchtet hatte, also war die Geschichte wohl noch nicht so weit gediehen oder eben doch nur ein Freundschaftsbesuch gewesen. Den er künftig unterbinden würde.
    Er trat an ihren Nachttisch, beugte sich zum Radiowecker hinab und verstellte die Uhrzeit um eine Stunde. Morgen früh, wenn Gott will, würde sie sich sputen müssen. Das Lesezeichen ihrer Bettlektüre steckte er gute dreißig Seiten später ins Buch. Was noch? Schmunzelnd trat er an ihren Kleiderschrank und öffnete ihn. Die lilafarbene Bluse gefiel ihm, er holte sie hervor und schloss alle Knöpfe, bevor er sie wieder an ihren Platz hängte. Zu gern würde er ihr Gesicht sehen, wenn sie überlegte, wie all das zustande gekommen war. Das war überhaupt eine Idee, er schlug sich vor die Stirn, konnte kaum fassen, dass er da nicht längst drauf gekommen war.
    Mit schräg geneigtem Kopf überlegte er, wo sich das, was er sein drittes Auge nennen würde, am geschicktesten verbergen ließe, und entschied sich für den Deckenstrahler, das war der perfekte Platz.
    Beschwingt vor lauter Vorfreude ging er nach nebenan ins Gästezimmer. Entgeistert betrachtete er das Durcheinander von Klamotten und Technik. Gerrit war am Freitag abgereist, war gerade davongefahren, als er angekommen war, doch offensichtlich hatte seine Abwesenheit nur kurz gewährt. Schlecht, sehr schlecht. Er wollte sie allein, unsicher, bedürftig, all das, was sie ohnehin war, würde sie sonst diese lästigen Typen um sich scharen? Sie konnte nicht allein sein, gut für ihn, aber sie traf die falschen Entscheidungen. Er würde nachhelfen müssen. Und er hatte auch schon eine Idee, wie er den Kerl loswerden konnte, loswerden lassen konnte, wofür hatte man schließlich Leute, die einem was schuldig waren. Er schnappte sich eins der T-Shirts, die auf dem Fußboden der Waschmaschine harrten, und ging in die Küche. Aus dem Schrank unter der Spüle holte er eine Plastiktüte, stopfte das Shirt hinein, wickelte das Bündel zusammen und klemmte es sich unter den Arm.
    Zeit zu verschwinden, befand er und ging zur Wohnungstür. Er hob den Blumenstrauß auf. Eigentlich hatte er ihn unten abgeben wollen, die Sekretärin noch ein wenig mehr für sich einnehmen. Jetzt überlegte er es sich anders. Er holte eine Vase aus dem Schrank im Esszimmer, füllte sie mit Wasser und stellte den Strauß hinein, ein prächtiges Gebinde von blauen Anemonen und weißen Lilien, eine einzelne Baccara mittendrin, fast versteckt. Die Vase stellte er mitten auf den Wohnzimmertisch. Perfekt, er freute sich an dem Arrangement, bedauerte auch hier, dass er ihre Reaktion nicht sehen würde, noch nicht, und verließ schließlich unbemerkt die Wohnung.
    * * *
    Obduktionen von Kindern waren das Schlimmste. Die Endgültigkeit eines nicht gelebten Lebens, beendet weit vor der Zeit, alles, was hätte sein oder werden können, Träumen, Hoffen, Sehnen, Bangen, Lieben auch, alles, woran man wuchs oder zugrunde ging, nimmermehr; was nur ein Entwurf gewesen, eine Skizze, war von der Tafel gelöscht, hinterließ graue Schlieren und den Geschmack von Staub auf der Zunge.
    Zwar konnte man bei Kathrin Engelbrecht kaum noch von einem Kind sprechen, dennoch hatten die letzten drei Stunden im Oldenburger Institut für Rechtsmedizin Zinkel mächtig zugesetzt, und er war erleichtert, endlich wieder

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