Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Titel: Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
Vom Netzwerk:
erkundigte sich Lothar, sobald sie im Foyer angekommen waren.
    »Gern«, sagte sie, »ich warte hier, ja?« Sie lehnte sich gegen das Geländer der zur Garderobe führenden Treppe und sah ihm hinterher, verlor ihn in dem Gewimmel jedoch schnell aus den Augen. Plötzlich fröstelnd, zog sie ihren Pashmina-Schal enger zusammen, die Müdigkeit, nahm sie an, oder das Mauerblümchengefühl aus Jugendzeiten, das sie auf einmal beschlich. Dabei wirkte das Oldenburgische Staatstheater fast heimelig auf sie, im Gegensatz zum Hessischen in Wiesbaden.
    Das Foyer befand sich in einem Anbau neueren Datums und war geprägt von klaren Linien und Glas, nicht prunkvoll überladen, und auch das Publikum erschien ihr gemischter und weniger steif. Sie schnappte ein paar Gesprächsfetzen auf, natürlich hörte man die gewohnheitsmäßigen Opernbesucher heraus, die Inszenierungskritiker befleißigten sich allerorten desselben Vokabulars, wie ihr schien, doch es kam ihr so vor, als entdeckte sie mehr Begeisterung: glänzende Augen, sogar Ergriffenheit. Vielleicht, überlegte sie, besaß diese Art von Kultur hier noch den Hauch des Besonderen, während sich im geballten Rhein-Main-Gebiet angesichts des unübersichtlichen Angebots etwas wie gepflegter Überdruss eingestellt hatte.
    »Auf dein Wohl.« Lothar reichte ihr ein Glas. »Wie gefällt’s dir?«
    »Der Text ist eine Zumutung«, sagte Marilene. An sich war sie keine Operngängerin, hatte bislang nur Verdi-Opern gesehen, Aida und Nabucco, wenn sie sich recht erinnerte, und empfand das im Nachhinein als gute Entscheidung.
    »Du sollst nicht auf den Text achten«, wies Lothar sie zurecht, »sondern auf die Musik.«
    »Würde ich ja gern. Aber die singen deutsch statt italienisch.«
    »Mozart war zwar kein Deutscher, aber unsere Sprache spricht man auch in Österreich.«
    »Ach nee«, entgegnete Marilene. »Und damit mir auch nur ja kein Wort entgeht, gibt es einen Projektor für die Obertitel. Hätte man doch wohl drauf verzichten können.«
    »Besorg mir eine Flinte, und ich schalte ihn für dich aus«, bot Lothar an und warf sich in die Pose eines Stierkämpfers vor dem Kampf.
    »Das wäre entschieden nackenfreundlicher«, stimmte Marilene zu, »aber leider hab ich meine Waffe zu Hause gelassen. Dass ich in der Oper und in deiner Begleitung zur Selbstverteidigung gezwungen wäre, habe ich nicht erwartet.«
    »Massage?« Lothar zwinkerte.
    »Danke, nein«, lehnte sie ab, vielleicht eine Idee vorschnell, denn sie bemerkte wohl die begehrlichen Blicke, die Lothar streiften, dann zu ihr wanderten, nur um zu ihm zurückzukehren und zu verweilen. Im Auge der Betrachterinnen stellte sie anscheinend kein Hindernis dar. Sie konnte es den potenziellen Schwiegermüttern, den fast aggressiv aufreizenden, zu stark geschminkten ledigen Anhängseln biederer Paare wie auch den kichernden Schülerinnen nicht mal verdenken. Der Mann sah einfach zu gut aus. Neben ihm musste sie wie seine Gouvernante wirken.
    Er rückte näher an sie heran und legte einen Arm um ihre Schultern, als wollte er ihre Gedanken Lügen strafen. »Sie sind hinter mir her«, flüsterte er ihr ins Ohr, »du hättest deine Waffe mitbringen sollen, allein um meine Unschuld zu verteidigen.« Er hauchte ihr einen Kuss in den Nacken.
    »Du weißt gar nicht, was das ist, Unschuld.« Marilene hoffte, er merkte nicht, dass er genau die Stelle getroffen hatte, die sie am ehesten alle Regeln über Bord werfen und schwach werden ließe. Besser, sie wechselte das Thema. »Total frauenfeindlich«, erklärte sie.
    »Wer, ich?« Lothar hob entrüstet beide Hände und rückte ein wenig ab.
    Bedauerlich, fand Marilene ganz gegen ihren erklärten Willen und verbat sich schleunigst dieses Gefühl. »Das kann ich nicht beurteilen«, flachste sie. »Ich meinte den Text der Oper.«
    »Das Libretto«, verbesserte Lothar, »ist im zeitlichen Kontext zu betrachten. Die ›Zauberflöte‹ wurde 1791 uraufgeführt, zu einer Zeit also, in der es nicht mal ein allgemeines Wahlrecht, geschweige denn das Frauenwahlrecht, gab. Nach der Französischen Revolution, bei der die Menschen- und Bürgerrechte für Männer verkündet wurden, hat 1791 eine Frauenrechtlerin namens Olympe de Gouges eine ›Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin‹ verfasst, um sie der Nationalversammlung zur Abstimmung vorzulegen. Diese Erklärung enthält sinngemäß eine Formulierung, dass eine Frau das Recht hat, aufs Schafott zu steigen, dann aber auch das Recht haben müsse, auf

Weitere Kostenlose Bücher