Marillenknoedel und das Geheimnis des Gluecks
waren, den Männern zu gefallen. Unsere Altersgenossinnen daheim in Hamburg träumten von nichts anderem, als dass ein Mann sich erbarme, ihnen einen Antrag zu machen, und das, obwohl Ehe für eine Frau damals noch bedeutete: Kinder großziehen, Rouladen kochen, Hemden bügeln. Ich wollte NIEMALS heiraten, da war ich mir ganz sicher. Ich wollte frei sein, reisen, wohin ich wollte, ohne Mann, ohne Eltern, ohne christliche Jugendreisegruppe!
Wir reisten weiter, nach Bilbao und Pamplona und dann weiter die Küste entlang durch Spanien. Wir hatten Liebeleien an der Costa Dorada und der Costa Brava, an der Costa Blanca und an der Costa del Sol. In Barcelona besuchten wir unsere erste Tapasbar: Wir aßen Datteln im Speckmantel und Hühnerleber in Portwein und leckere, kleine Fleischbällchen mit Tomaten, es war genau das Richtige für uns, die wir hungrig auf alles waren. Und was war das für eine Stadt! Wir wären dort sicher noch viel länger geblieben, vielleicht das ganze Jahr lang, aber plötzlich hatte sich ein Kellner in mich verliebt, deswegen fuhren wir weiter. Überhaupt erkannten wir daran fast immer, wann unsere Zeit an einem Ort abgelaufen war: Langeweile oder ein allzu anhänglicher Mann, wobei das zweite oft Grund für das erste war.
Von Spanien aus fuhren wir zurück nach Frankreich, die ganze Côte d’Azur entlang, wir hielten in Saint Tropez, in Cannes und in Nizza und kamen am Ende in Monte Carlo an. Dort drapierten wir uns so lange vorteilhaft am Strand, bis uns endlich ein reicher Monegasse mit ins Casino nahm. Und weißt Du, was dann geschah? Wir setzten etwas Geld beim Roulette, und als wir gewannen, setzten wir noch etwas mehr. Wir gewannen und gewannen und hatten plötzlich ein Vielfaches von dem, was wir dabei gehabt hatten, als wir in Hamburg losgefahren waren! Es war so eine fantastisch hohe Summe, dass wir sicher waren, wir könnten bis ans Ende unseres Lebens so unterwegs sein. Und nach all den Männern, all der Sonne, all dem Genuss und all dem Spaß kamen wir uns plötzlich unbesiegbar vor und glaubten, nichts und niemand könne uns aufhalten. Wir tranken Champagner, die ganze Nacht. Ich weiß noch genau, was das für ein Tag war: der 3. September 1951. Ich weiß das deshalb so genau, weil am nächsten Tag der fünfzigste Geburtstag meines Vaters war und ich daran dachte, worauf ich sehr stolz war. Ich stand morgens auf, ging in die Lobby des Hotels, in dem wir uns einquartiert hatten, und ließ eine Telefonverbindung nach Deutschland herstellen. Ich werde dieses Telefonat nie vergessen.
Meine Mutter ging dran, Sophie. Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass man sich in Hamburg freuen würde über meinen Anruf. Aber als meine Mutter hörte, wer am anderen Ende der Leitung war, schnappte sie vernehmbar nach Luft, dann fuhr sie mich an. Wir sollten sofort zurück nach Hause kommen, sagte sie, und was uns einfiele, uns so lange nicht zu melden. In der Firma meines Vaters sei eine Stelle frei geworden, die solle ich umgehend antreten. Und auch Lisbeths Eltern hätten vergeblich versucht, uns zu erreichen, sie hätten ebenfalls eine Anstellung für ihre nichtsnutzige Tochter gefunden, man müsse dankbar sein. Sie gab sich keinerlei Mühe zu verbergen, wie wütend sie war, und man merkte, dass es ihr völlig egal war, wie es mir eigentlich ging oder wo ich war. Doch ich begehrte nicht auf – damals noch nicht. Ich war so dermaßen verwirrt und vor den Kopf gestoßen, ich konnte gar nicht richtig reagieren. Ich nickte nur stumm in den Hörer und sagte leise, dass wir kämen. Erst hinterher fiel mir auf, dass ich keine Gelegenheit bekommen hatte, meinem Vater zu gratulieren, aber ich wagte es nicht, noch einmal daheim anzurufen, aus Angst, dass die Realität dann noch realer würde.
Ich blättere um, der Brief hat ganz schön viele Seiten. Arme Tante Sophie. Wie gut ich mich in ihre Lage hineinversetzen kann! Die von-Hardenberg-Frauen dulden keinen Widerspruch, das stimmt, sie dulden nicht einmal ein Widerwörtchen. Auch ich habe ganz schön lange gebraucht, bis ich die, äh, Eier hatte, einfach mal nein zu sagen, wenn unter der Marlies-Möller-Frisur meiner Mutter mal wieder etwas für mich ausgeheckt wurde, mit dem ich kein bisschen einverstanden war.
Das Schlimmste an der ganzen Sache war allerdings die Reaktion von Lisbeth, Sophie. Bis dahin hatten wir alles gemeinsam gemacht, wir hatten dasselbe gewünscht und gedacht und hatten das Gefühl gehabt, nichts auf der Welt könnte uns
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