Marissa Blumenthal 01 - Virus
Aufenthaltsraum. Auf dem Raumteiler stand eine kleine Marmorschale mit ein paar Schlüsseln darin, aber es waren keine Autoschlüssel. Marissa kehrte in die Küche zurück und ging von dort in den kleinen Raum vor dem Hinterausgang. Da hing eine Anmerktafel aus Kork, und es stand ein altes Schulpult darin und ein alter Schreibsekretär. Eine Tür führte in ein Badezimmer.
Marissa versuchte es erst mit dem Pult; sie hob den Deckel hoch und wühlte den Inhalt des Fachs durcheinander. Es fanden sich ein paar altertümlich wirkende Hausschlüssel, aber das war alles. Dann wandte sie sich dem Schreibsekretär zu, begann seine Schubladen aufzuziehen und fand darin ein Durcheinander von Handschuhen, Schals und Regenumhängen.
»Was suchen Sie denn?« fragte Ralph, der plötzlich hinter ihr aufgetaucht war. Schuldbewußt richtete sie sich auf und rang verzweifelt nach einer Ausrede. Ralph wartete und blickte sie gespannt an. Seine rechte Faust war geschlossen, seine linke Hand hielt ein Glas Wasser.
»Ich dachte, ich könnte vielleicht einen Pullover finden«, sagte Marissa schließlich.
Ralph schaute sie befremdet an - im Haus war es allenfalls zu warm, denn es war ja schon fast Juni.
»Ich werde die Heizung in der Küche andrehen«, sagte er und führte sie dorthin zurück und zu einem Stuhl. Er streckte ihr seine rechte Hand entgegen. »Hier, nehmen Sie das!« Er ließ eine rot-schwarze Kapsel in Marissas Handfläche fallen.
»Dalman?« fragte Marissa. »Ich dachte, Sie wollten mir ein Beruhigungsmittel geben.«
»Das wird Sie beruhigen und Ihnen zugleich zu einem ruhigen Schlaf verhelfen«, versicherte ihr Ralph.
Marissa jedoch schüttelte den Kopf und gab die Kapsel zurück. »Ich würde ein Beruhigungsmittel vorziehen.«
»Nun, wie wäre es dann vielleicht mit Valium?«
»Ja, das wäre gut«, meinte Marissa.
Sobald sie ihn die Hintertreppe hinaufgehen hörte, rannte Marissa in die vordere Empfangshalle. Auf dem kostbaren Marmorwandtischchen lagen keine Schlüssel, ebensowenig in der kleinen Schublade darunter. Marissa öffnete den Garderobenschrank und klopfte dort rasch die Jackentaschen ab. Nichts!
Sie schaffte es, gerade wieder in der Küche zu sein, als zu hören war, daß Ralph die Hintertreppe herunterkam.
»So, jetzt aber«, sagte er und ließ eine blaue Tablette in Marissas Hand fallen.
»Wieviel ist denn das?« fragte sie.
»Zehn Milligramm.«
»Meinen Sie nicht, daß das ein bißchen viel ist?«
»Sie sind derart aufgeregt. Eine normale Dosis würde in Ihrem Zustand nicht wirken«, antwortete Ralph und reichte ihr das Glas Wasser.
Sie nahm es und tat so, als ob sie die Valiumtablette einnehme. In Wirklichkeit aber ließ sie sie heimlich in ihre Jackentasche gleiten.
»Jetzt wollen wir es nochmals mit dem Essen versuchen«, sagte Ralph.
Marissa zwang sich, etwas zu essen, und nutzte die Zeit, um sich den Kopf darüber zu zerbrechen, auf welche Weise sie entwischen könne, bevor Jackson ankam. Aber es schmeckte ihr überhaupt nicht, und nach ein paar Bissen mußte sie die Gabel sinken lassen.
»Immer noch nicht hungrig?« fragte Ralph.
Marissa schüttelte nur schweigend den Kopf.
»Nun, dann gehen wir ins Wohnzimmer.«
Sie war froh, den Essensgerüchen entkommen zu können, doch kaum hatten sie Platz genommen, als Ralph sie zu einem frischen Drink nötigte.
»Ich glaube aber eigentlich, daß ich nach dem Valium lieber keinen nehmen sollte«, wandte Marissa ein.
»Ein kleiner Schluck kann nicht schaden!«
»Sind Sie ganz sicher, daß Sie nicht versuchen wollen, mich betrunken zu machen?« sagte Marissa und zwang sich zu einem Lachen. »Vielleicht ist es doch besser, wenn wenigstens ich die Drinks mache.«
»Soll mir recht sein«, stimmte Ralph zu und legte die Füße auf den Kaffeetisch. »Für mich bitte einen Scotch!«
Marissa ging zur Bar hinüber und goß für Ralph vier Finger hoch Scotch in ein Glas. Dann, nachdem sie sich vergewissert hatte, daß er abgelenkt war, nahm sie die Valiumtablette aus ihrer Jackentasche, zerbrach sie in zwei Hälften und ließ diese in sein Glas fallen. Dummerweise aber lösten sie sich nicht auf. Daher fischte sie sie wieder heraus und zerstampfte sie mit dem Flaschenboden. Nun schüttete sie das Pulver in das Glas.
»Soll ich Ihnen helfen?« rief Ralph herüber.
»Nein danke«, gab sie zurück und goß ein bißchen Brandy in ihr eigenes Glas. »So, da bin ich schon!«
Ralph nahm seinen Scotch entgegen und lehnte sich auf der Couch
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