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Miss Seetons erster Fall

Miss Seetons erster Fall

Titel: Miss Seetons erster Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heron Carvic
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    Ja, die Liebe – taram tam tamtam. .
1
    So farbig und lebensprühend. Romantisch?. Nein, das bestimmt nicht. Eher eine Spur ordinär. Carmen zum Beispiel – nicht gerade vorbildlich. Und die andere, die Jüngere. schwer, mit ihr Mitleid zu haben. Aber ihr Verlobter, offensichtlich schwach und leicht zu beeinflussen, hätte als Ehemann mit dieser krankhaften Bindung an seine Mutter sowieso nichts getaugt. Trotzdem – daß er Carmen am Schluß einfach erdolcht. so unnötig. Pathologisch beinahe. Obwohl man natürlich nicht vergessen durfte, daß Ausländer in solchen Dingen ganz anders reagierten. Man las ja immer wieder, daß sie sich in anderen Ländern einfach vom Gefühl hinreißen ließen und einander dann umbrachten. Die Hitze, wahrscheinlich.
    Miss Seeton wich einem Stapel Kisten aus. Im Vorbeigehen warf sie einen Blick darauf. Sevilla-Orangen. Ausgerechnet. Spanien. Komischer Zufall. Man könnte fast glauben, noch in der Oper zu sitzen, mit dem strahlenden Lichterglanz ringsum. Liebst du mich nicht – taram tam tam …
    Sprunghaft, ja. Disharmonisch, ja, aber plötzlich war es ihr warm ums Herz geworden. Denn mit dem Opernbesuch hatte sie etwas gefeiert: das Abenteuer, zu dem sie am nächsten Tag aufbrechen würde. Nein, nein. ›Abenteuer‹ war übertrieben. Ein neuer Lebensstil – oder zumindest der Anfang eines neuen Lebensstils. Was natürlich auch ein Abenteuer war. Wenigstens für sie.
    Wo war sie denn jetzt? Wenn sie hier rechts ging – o je, wie finster die Gasse aussah. Durften die Autos denn alle auf einer Seite parken? Und auch noch mit den Rädern auf dem Bürgersteig? Wenn sie hier durchging, mußte sie an der Tottenham Court Road herauskommen. Oder sie erwischte sogar ihren Bus am Charing Cross.
    Eine gute Idee, ein Stück zu Fuß zu gehen. Sie schritt ganz beschwingt dahin. Ob es die Gummisohlen waren? Oder konnte es sein, konnte es wirklich sein, daß ihr das andere so gut tat? Miss Seeton unterdrückte ein Schmunzeln – besser, sich nicht zu früh zu freuen. Natürlich war es verrückt, in ihrem Alter mit diesen. diesen Turnübungen anzufangen, aber die Anzeige hatte so einleuchtend ausgesehen. Sogar, als das Buch eingetroffen und man sich über die Schwierigkeiten klargeworden war, schien sich ein Versuch durchaus zu lohnen. Und diese lästige Steifheit in den Knien war zweifellos besser geworden. Viele Positionen waren – na ja, peinlich. Sogar für einen selbst. Aber schließlich, wenn es niemand wußte – und wenn es half. Oh.
    Miss Seeton wollte rasch an dem Pärchen vorbeigehen, das sich in die Tornische drückte, doch in diesem Augenblick fauchte das Mädchen: »Merdes-toi, putain, Saligaud! Scérélat, si tu mmuertes …« Ein Keuchen, und sie verstummte – der junge Mann hatte sie mit der Faust in die Seite geboxt.
    Nein, nein. Unerhört. Miss Seeton blieb stehen. Sogar wenn das Mädchen wirklich geschimpft hatte – und geklungen hatte es ja so –, das ging zu weit. Ein Gentleman schlug keine. Sie bohrte ihm den Schirm in den Rücken.
    »Junger Mann.«
    Er fuhr herum und sprang sie an. Durch den Schirm abgelenkt, landete er neben Miss Seeton, die der Zusammenprall zu Fall gebracht hatte. Er packte sie am Mantel und zog sie mit einem Ruck zu sich heran. Ein Lichtstrahl ließ ihn erstarren – am Ende der Gasse waren Autoscheinwerfer eingeschaltet worden, und jetzt sprang ein Motor an. Ein Schieben und Stoßen – plötzlich wurde Miss Seetons Mantel losgelassen, und sie fiel auf die Ellbogen zurück, während der junge Mann sich aufrappelte und davonrannte. Sich auf den Schirm stützend, kam Miss Seeton auf die Füße. Nein, so was. Diese Ausländer mit ihrem Temperament – so impulsiv.
    Eine Autotür klappte. Eine Männerstimme rief: »Bleib im Wagen, Mabel.« Laufschritte ertönten auf dem Pflaster.
    »Sind Sie verletzt, madam? Ist was passiert?«
    Miss Seeton drehte sich um. Ein untersetzter Mann mittleren Alters kam hinter dem Scheinwerferstrahl zum Vorschein, lief auf sie zu und faßte sie am Arm.
    »Der Mann, der Sie angefallen hat – hat er Sie verletzt?«
    Miss Seeton, etwas außer Atem, dachte nach. »Nein. nein, ich glaube, nicht. Es war nur der Schreck.«
    »Aber Sie sind hingefallen«, sagte der Mann eindringlich. »Er hat Sie doch zu Boden geschlagen.«
    »Es kam alles so überraschend. Ich habe ihn erschreckt, wissen Sie, und darum ist er auf mich losgegangen. Wir sind beide hingefallen. Dann hat er mich gepackt. Ich glaube, er wollte mir auf die Füße

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