Mark Bredemeyer
lassen. Dann hob sie einen runden, flachen Gegenstand aus dem dunklen Gras auf. Er war in ein gegerbtes Leder eingeschlagen und mit Schnüren aus Hanffasern fest umwickelt. Singend überreichte sie der Auserwählten diese zweite Himmelsscheibe, die notwendig war, um das Tor erneut zu öffnen.
Die anderen Zauberinnen stimmten in den Gesang ein und ihre Stimmen schwollen zu einem mächtigen Brausen an. Wieder und wieder reckten sie ihre Arme gen Himmel und steigerten die Intensität der Worte immer weiter.
Eine dunkle Wolke schob sich vor das fahle Antlitz des Mondes – und dies schien das Zeichen gewesen zu sein, auf das die Auserwählte gewartet hatte. Sie schrie förmlich vor Rage und Inbrunst und schritt langsam, begleitet von den anderen acht, auf das hell und hoch lodernde Feuer zu.
Der Kreis der Zauberinnen schloss sich immer enger um sie, bis es sie mit einem großen Schritt direkt in die Flammen zog. Die Arme mit den Runenstäben noch in die Höhe gereckt, erfasste ein gewaltiger Sog mitten aus dem Feuer heraus ihren Körper und riss ihn mit sich. Ihre Stimme erstarb abrupt und zurück blieben nur die tanzenden Feuerzungen.
Sie war fort! Sie hatte den Sprung zwischen den Welten gewagt und der Zauber hatte funktioniert.
Plötzlich fing der Boden an zu vibrieren, dann zu beben und die acht Zurückgebliebenen eilten schnell an ihre Plätze. Der Thurisfingar war zum Leben erwacht, der gewaltige Finger des Urriesen! Tief unter dem Feuer lag im sicheren Schoß der Mutter Erde die andere von den Hagedisen begrabene heilige Himmelsscheibe. Sie war überzogen mit einem feinen Netz aus silbernen Linien, dem Stand der Gestirne zur Tag-und-Nacht-Gleiche sowie kraftvollen Runenzeichen, die so alt waren wie die Menschheit selbst. Aus dieser bronzenen Himmelsscheibe stieg durch Erde und Feuer hindurch langsam eine wirbelnde feurige Kugel auf, geboren aus den Flammen und sich wild und zuckend drehend in dieser Welt der Menschen. Das Beben der Erde ließ die Kugel unvorhersehbar in alle Richtungen tanzen, gefährlich nahe kamen ihre heißen Finger dem Fleisch der Frauen, so, als wollten sie jeden Moment zupacken und auch sie in sich hineinreißen.
Die Erschütterungen ebbten jedoch jetzt schlagartig wieder ab und die Kugel zerfloss zu einer sich stetig windenden und pulsierenden Wand aus Feuer. Diese Waberlohe blieb im schwarzen Gesicht der Nacht hängen, fraß die sie umgebende Dunkelheit und wuchs dann noch weiter an. Gleich einer feurigen Mauer schirmte sie das Opferfeuer von den Blicken der anderen acht Hagedisen ab. Das Brausen wurde immer heftiger. Tentakelartige Flammenarme reckten sich gierig gen Boden und Himmel. Zuckend tanzte das unwirkliche Feuer, doch die Zauberinnen standen fest verwurzelt da und zeigten sich gänzlich unbeeindruckt von dem Schauspiel.
Nach und nach wuchs der Wall um die gesamte Opferstätte herum, während immer wieder Feuerkugeln aus ihr hervorschossen und mit einem lauten Krachen barsten. Brennende Fetzen wurden in die Nacht hinausgeschleudert und verglühten vor dem wolkenverhangenen Nachthimmel. Der vorher mächtige Feuersturm zog sich nun in sich selbst zurück und es blieb nur noch ein sanft leuchtendes, unirdisch anmutendes Feuerchen auf dem Boden, das harmlos rotierte. Es war von grün-weißlicher Farbe, langsam und gemächlich brennend, beschützt und umringt von der wabernden Feuerwand.
Wind kam auf und die Zauberinnen blickten in den düsteren Himmel. Die Götter hatten zugelassen, dass das Tor geöffnet worden war – jetzt mussten nur noch die Richtigen den Eingang finden und hindurchkommen.
Feuer
Am Morgen des 20. März 2007 sprang mein Radiowecker um Viertel nach sieben an und weckte mich mit »All good things« von Nelly Furtado, einem esoterischen Poptitel, der schon seit einigen Wochen im Radio rauf und runter gespielt wurde. Kurz war ich versucht, noch liegen zu bleiben und mir das Lied zu Ende anzuhören. Dann streckte ich aber doch schwerfällig meinen Arm aus und knipste das Licht an. Leise tapsende Pfoten auf dem Teppich kündigten daraufhin das Kommen meines äußerst wachsamen Hundes Bruno an, der morgens schon das allerkleinste Geräusch von mir als Signal zum Aufstehen interpretierte! Im nächsten Moment schaute ein großer Hundeschädel mit freudig angelegten Ohren um die Ecke und hielt dann direkt auf mich zu.
Die Guten-Morgen-Begrüßung fiel wie immer sehr stürmisch aus. Bruno bohrte seine haarige Schnauze mit der kalten Nase unter die Bettdecke und
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