Mars Trilogie 1 - Roter Mars
Allerdings verrückt auf eine russische Art, was hieß, sie war eine Macht, mit der man rechnen mußte. Mütterchen Rußland! Sowohl die Kirche wie die Kommunisten hatten das ihnen vorausgegangene Matriarchat auszurotten gesucht; und alles, was sie erreichten, war eine bittere, entnervende Wut, eine ganze Nation voller geringschätziger russalkas und baba yagas und vierundzwanzig Stunden am Tag aktiver Überweiber, die in einer fast parthenogenen Kultur von Müttern, Töchtern, Babushkas und Enkelinnen lebten. Die aber dennoch zwangsweise in ihren Beziehungen mit Männern absorbiert waren und verzweifelt versuchten, den verlorenen Vater, den perfekten Gatten zu finden. Oder bloß eben einen Mann, der seinen Teil an der Last tragen würde. Die große Liebe finden und sie in der Mehrzahl der Fälle nicht zerstören. Verrückt!
Nun, es war gefährlich, zu verallgemeinern. Aber Maya war ein klassischer Fall. Launisch, ärgerlich, dem Flirt zugetan, brillant, charmant, manipulierend, intensiv... Und jetzt nahm sie sein Büro ein wie ein riesiger Abfallklumpen, ihre Augen mit roten Rändern und von Blut unterlaufen, ihr Mund schmal, verstört. Ursula und Phyllis nickten und dankten Michel flüsternd dafür, daß er so früh aufgestanden war. Dann gingen sie. Er trat an die türhohen Fensterjalousien und öffnete sie. Das Licht strömte von der Zentralkuppel herein. Ihm wurde wieder bewußt, daß Maya eine schöne Frau war, mit wildem, schimmerndem Haar und einem verschleierten charismatischen Blick, unmittelbar und direkt. Es war ein Jammer, sie hier so aufgeregt zu sehen. Daran würde er sich nie gewöhnen. Es kontrastierte zu sehr mit ihrer gewohnten Lebhaftigkeit, mit der Art, wie sie einem den Finger auf den Ann legen konnte, wenn sie in vertraulichem Ton über das eine oder andere faszinierende Thema plapperte ...
Alles seltsam nachgeahmt von dieser verzweifelten Kreatur, die sich über seinen Tisch lehnte und ihm mit abgerissener heiserer Stimme über die letzte Szene in dem laufenden Drama von ihr und John und dann wieder Frank berichtete. Offenbar hatte sie sich über John erzürnt wegen seiner Weigerung, ihr bei einem Plan zu helfen, einige der russisch fundierten Multinationalen dazu zu bringen, die Entwicklung von Siedlungen im Hellas-Becken zu unterschreiben, welches der tiefste Punkt auf dem Mars war und als erster von den atmosphärischen Veränderungen profitieren würde, die sich gerade abzeichneten. Der Druck in Low Point, vier Kilometer unter dem Bezugsniveau, pflegte immer zehnmal stärker zu sein als auf den Gipfeln der großen Vulkane und dreimal stärker als auf Normalhöhe. Es würde der erste für Menschen annehmbare Ort sein, perfekt für Entwicklung.
Aber offenbar zog Frank es vor, über UNOMA und Regierungen zu arbeiten. Und genau das war eine der fundamentalen politischen Meinungsverschiedenheiten, die ihr persönliches Leben zu vergiften begannen - bis dahin, daß sie oft über andere Dinge stritten, die keine Rolle spielten und wegen derer sie sich früher nie gezankt hatten.
Michel beobachtete sie und hätte beinahe gesagt, daß John den Streit mit ihr wünschte. Er war sich nicht sicher, was John dazu sagen würde. Maya rieb sich die Augen, stützte die Stirn auf seinen Schreibtisch und zeigte den Nacken und ihre breiten geschmeidigen Schultern. Sie würde vor den meisten Bewohnern von Underhill niemals so aufgewühlt erscheinen. Das war eine Intimität zwischen ihnen, etwas, das sie nur mit ihm teilte. Es war, als hätte sie ihre Kleider abgelegt. Die Leute verstanden nicht, daß wahre Intimität nicht aus Geschlechtsverkehr bestand, den man mit Fremden und sogar in einem Zustand völliger Abgeneigtheit ausüben konnte. Intimität bestand darin, daß man stundenlang über das sprach, was einem in seinem Leben das Wichtigste war. Obwohl sie nackt wirklich schön war. Sie hatte perfekte Proportionen. Michel erinnerte sich daran, wie sie beim Schwimmen im Becken aussah, wenn sie den Rückenschlag in einem blauen, hoch über den Hüften ausgeschnittenen Badeanzug ausführte. Ein mediterranes Bild: Er schwebte im Wasser bei Villefranche, alles überflutet vom bernsteinfarbenen Licht der Abendsonne; und er blickte auf den Strand, wo Männer und Frauen spazierten - nackt bis auf die Nylondreiecke von cache-sexe-Badeanzügen . Braunhäutige barbusige Frauen, die paarweise wie Tänzer im Sonnenlicht einherschritten. Dann Delphine, die zwischen ihm und dem Strand aus dem Wasser schossen, und
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