Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars
neugierig um. Es war eine Festung der Metanats gewesen, die er noch nie von innen gesehen hatte. Es war interessant, die alten Gebäude zu sehen. Die physikalische Fabrik war während der Revolution von der Roten Armee zerstört worden und noch durch die zerbrochenen schwarzen Mauerreste zu erkennen. Die Leute winkten ihm zu, als er den breiten Zentralboulevard zu den Stadtbüros hinunterging.
Da war sie nun, im Saal des Rathauses, an einem der Fenster lehnend, die das U von Nilus Noctis überschauten. Nirgal blieb stehen und hielt den Atem an. Sie hatte ihn noch nicht gesehen. Ihr Gesicht war runder geworden, aber sonst war sie so groß und gewandt wie immer, gekleidet in eine grüne Seidenbluse und einen dunkelgrünen Rock aus einem gröberen Stoff. Ihr schwarzes Haar floß als glänzende Mähne über ihren Rücken. Er konnte den Blick nicht abwenden.
Dann erblickte sie ihn und zuckte leicht zusammen. Vielleicht hatten die Bilder auf dem Armbandgerät ihr nicht das Ausmaß vermittelt, in dem ihn die Krankheit auf der Erde getroffen hatte. Bei dem Wiedererkennen streckte sie die Hände aus und folgte ihnen, während ihre Augen überlegten und die Miene bei seinem Erscheinen sorgsam für die Kameras, die sie immer umgaben, angepaßt wurde. Aber Nirgal liebte diese Hände. Er fühlte die Wärme im Gesicht, als er errötete, während sie sich küßten, Wange an Wange wie befreundete Diplomaten. Aus der Nähe sah sie immer noch aus wie fünfzehn m-Jahre, eben die makellose Jugend hinter sich, in diesem Lebensabschnitt, der noch schöner ist als die Jugend selbst. Das Gerücht kursierte, sie hätte die Behandlung seit dem Alter von zehn Jahren bekommen.
»Es ist also wahr«, sagte sie. »Die Erde hat dich fast getötet.«
»Es war eigentlich ein Virus.«
Sie lachte, aber ihre Augen behielten den berechnenden Blick bei. Sie nahm ihn am Arm und führte ihn wie einen Blinden zu ihrer Begleitung zurück. Obwohl er einige von denen kannte, stellte sie sie trotzdem vor, nur um zu betonen, wie sehr sich der innere Kreis der Partei verändert hatte, seit er abgereist war. Aber das konnte er natürlich nicht bemerken, und so war er recht guter Dinge, als sie plötzlich durch ein großes Geschrei unterbrochen wurden. Unter ihnen befand sich ein Baby.
»Oh!« rief Jackie und schaute auf ihr Armband. »Sie hat Hunger. Komm, ich stell dir meine Tochter vor.« Sie ging zu einer Frau hinüber, die ein Wickelkind trug. Das Mädchen war ein paar Monate alt, hatte dicke Backen und eine dunklere Haut als Jackie. Es kreischte lauthals. Jackie nahm es der Frau ab und brachte es in einen Nebenraum.
Nirgal war stehengeblieben und erblickte Tiu, Rachel und Frantz am Fenster.
Er ging zu ihnen hinüber und schaute in Jackies Richtung. Sie rollten mit den Augen und zuckten die Achseln. Jackie hat nicht gesagt, wer der Vater ist, erklärte Rachel rasch und halblaut. Das war kein ungewöhnliches Verhalten. Viele Frauen von Dorsa Brevia hatten es ebenso gemacht.
Die Frau, die das Mädchen gehalten hatte, betrat wieder den Raum und sagte Nirgal, daß Jackie mit ihm sprechen möchte. Er folgte der Frau ins nächste Zimmer.
Auch dieser Raum hatte ein großes Aussichtsfenster mit Blick auf Nilus Noctis. Jackie saß in einem Sessel am Fenster, stillte das Kind und genoß den Anblick. Das Kind war hungrig und nuckelte, zwischen kleinen Seufzern und Quietschen, gierig und mit geschlossenen Augen. Die kleinen Fäustchen verkrampften sich, wie an Zweigen oder Fell in einem durch die Erinnerung an Bäume und Flucht geprägten Verhalten. In diesem Griff zeigte sich Evolutionsgeschichte.
Jackie erteilte Anweisungen, sowohl an Personal im Zimmer wie über das Armband. »Ganz gleich, was sie in Bern sagen, wir müssen die Flexibilität haben, um nötigenfalls die Quoten zu drücken. Die Inder und Chinesen werden sich eben daran gewöhnen müssen.«
Einiges wurde für Nirgal jetzt klarer. Jackie war im Exekutivrat, aber der hatte keine besondere Macht. Sie war auch noch eine der Führerinnen der Partei Freier Mars. Und obwohl diese auf dem Planeten vielleicht weniger Einfluß haben mochte,' da die Macht sich in die Kuppeln verlagerte, hatte sie bei den Beziehungen zwischen Erde und Mars das Potential, eine bestimmende Institution zu werden. Selbst wenn sie Politik auch nur koordinierte, würde sie alle Macht erhalten, über die ein Koordinator verfügen konnte. Und die war nicht zu unterschätzen. Es war immerhin das gesamte Machtpotential, das Nirgal
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