Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars

Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars

Titel: Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
Vom Netzwerk:
unwissend auf der Schneide eines Fleischermessers, angeführt von Jackie, die so schön und enthusiastisch wie immer durch die Zimmer schwebte. Ihr Drang zur Macht war hinter ihrer Liebe zum Mars verborgen, genau wie hinter ihrer Hingabe an die Ideale ihres Großvaters und ihrem grundsätzlichen guten Willen und sogar ihrer Unschuld. Das College-Girl, das leidenschaftlich für eine gerechte Welt eintrat.
    So sah es jedenfalls aus. Aber sie und die Kollegen vom Freien Mars schienen genauso die Macht anzustreben. Es gab jetzt zwölf Millionen Menschen auf dem Mars, von denen sieben Millionen dort geboren waren. Und bei fast einem jeden dieser Eingeborenen konnte man auf Unterstützung für die einheimischen nationalen Parteien rechnen, und das war gewöhnlich Freier Mars.
    »Es ist gefährlich«, sagte Charlotte warnend, als Art dieses Thema bei der nächtlichen Zusammenkunft mit Nadia zur Sprache brachte. »Wenn man ein Land aus einer Vielzahl von Gruppen gebildet hat, die einander nicht trauen, mit einer deutlichen Majorität, dann bekommt man eine Wahl nach Köpfen, wobei Politiker ihre Gruppen repräsentieren, ihre Stimmen bekommen, und die Wahlergebnisse immer bloß eine Wiedergabe der Bevölkerungszahlen darstellen. In dieser Situation geschieht immer wieder dasselbe. Die Mehrheitsgruppe hat ein Machtmonopol, und die Minoritäten verlieren die Hoffnung und rebellieren schließlich. Die schlimmsten Bürgerkriege der Geschichte haben unter solchen Verhältnissen angefangen.«
    »Was können wir also tun?« fragte Nadia.
    »Nun, wir haben ja schon begonnen, indem wir Strukturen entwerfen, die die Macht besser verteilen und die Gefahren der Mehrheitsherrschaft mildern. Dezentralisation ist wichtig, denn sie schafft eine Art von kleinen lokalen Majoritäten. Eine andere Strategie wäre die Erstellung eines Systems der Gewaltenteilung im Stil von Madison, so daß die Regierung ein Fadenspiel wetteifernder Kräfte ist. Das nennt man Polyarchie. Hier ist das Geheimnis, die Macht auf so viele Gruppen wie möglich zu verteilen.«
    »Vielleicht sind wir aber gerade jetzt etwas zu polyarchisch«, gab Art zu bedenken.
    »Vielleicht. Eine andere Taktik wäre, die Regierung zu entprofessionalisieren. Man könnte einen großen Teil der Regierung zu einer öffentlichen Verpflichtung machen, wie die Teilnahme an einer Jury, und dann in einer Lotterie gewöhnliche Bürger für eine kurze Amtszeit einberufen. Die bekommen dann professionelle Unterstützung durch den Stab, treffen die Entscheidungen aber selbst.«
    »Ich habe noch nie von so etwas gehört«, gestand Nadia.
    »Kein Wunder. Das Modell wurde oft vorgeschlagen, aber nur selten verwirklicht. Aber ich halte es für erwägenswert. Es zielt dahin, Macht ebensosehr zu einer Bürde wie zu einer Last zu machen. Man steckt einen Brief in den Kasten - o nein; man wird für zwei Jahre im Kongreß eingezogen. Das ist eine Belastung, aber andererseits auch eine Auszeichnung, eine Chance, zu dem öffentlichen Diskurs etwas beizutragen. Bürgerregierung.«
    »Das gefällt mir«, sagte Nadia.
    »Eine andere Methode, um die Herrschaft einer Majorität zu dämpfen, ist die Abstimmung nach einer Version des australischen Verfahrens, wo die Wähler für zwei oder mehr Kandidaten in abgestufter Weise stimmen: erste, zweite und dritte Wahl. Die Kandidaten bekommen einige Punkte für zweite oder dritte Wahl und können damit Wahlen außerhalb ihrer eigenen Gruppe gewinnen. Dadurch werden Politiker zur Mäßigung veranlaßt; und auf lange Sicht kann es Vertrauen zwischen Gruppen schaffen, wo es das zuvor nie gegeben hat.«
    »Interessant!« sagte Nadia. »Wie Gitterträger in einer Mauer.«
    »Ja.« Charlotte erwähnte einige Beispiele gebrochener Gesellschaftern auf der Erde, die ihre Risse durch eine geschickte Struktur der Regierung geheilt hatten: Azania, Cambodia, Armenien... Dabei sank Arts Stimmung etwas. Das waren alles Länder mit einer sehr blutigen Geschichte gewesen.
    »Es scheint, daß politische Strukturen nur diese Hilfestellung geben können«, sagte er.
    »Stimmt«, sagte Nadia. »Aber wir haben es noch nicht mit all diesen alten Feindschaften zu tun. Das Schlimmste, was wir hier haben, sind die Roten; und die sind geschwächt durch das bereits erfolgte Terraformen. Ich wette, man könnte diese Methoden benutzen, um sogar sie in den Prozeß einzubinden.«
    Sie war offenbar durch die von Charlotte geschilderten Optionen ermutigt. Es waren ja schließlich Strukturen.

Weitere Kostenlose Bücher