Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars
nach der anderen und führte die Ideen weiter aus, die er das erste Mal in jener Sitzung vorgetragen hatte. Das war eine anstrengende Arbeit; und nach ein paar Wochen ohne Pause schaute er an einem wolkenfreien Morgen aus dem Fenster seines Schlafzimmers und sprach zu seinem Begleiter darüber, eine Expedition zu unternehmen. Und der Begleiter war einverstanden, den Leuten in Bern mitzuteilen, daß es eine private Reise wäre. Dann nahmen sie einen Zug in die Alpen.
Der Zug fuhr von Bern nach Süden, vorbei an einem langen blauen See, der Thunersee hieß und an dessen Ufern steile grasbewachsene Almen lagen und Klippen und Felsnadeln aus grauem Granit. Die Städte am See hatten Dächer aus Schieferplatten. Er sah viele alte Bäume und gelegentlich ein Schloß - alles gepflegt und in bestem Zustand. Die ausgedehnten grünen Weideflächen zwischen den Städten waren durchsetzt mit großen hölzernen Bauernhäusern; rote Gartennelken in Blumenkästen auf jedem Fensterbrett und Balkon. Dieser Stil hatte sich in fünfhundert Jahren nicht geändert, wie ihm seine Begleiter sagten. Er paßte in das Land, als ob das ganz natürlich wäre. Die grünen Almen waren von Bäumen und Steinen gesäubert. Ursprünglich waren es Wälder gewesen. Also waren sie terrageformte Räume, große hügelige Grasflächen, die geschaffen worden waren, um Futter für das Vieh zu liefern. Ein solcher Ackerbau wäre ökonomisch nicht in dem Sinne sinnvoll gewesen, wie der Kapitalismus es definierte. Aber die Schweizer hatten die hoch gelegenen Höfe immer unterstützt, weil sie das für wichtig oder schön oder beides zugleich hielten. Das war die Schweiz. »Es gibt höhere Werte als wirtschaftliche«, hatte Vlad damals bei dem Kongreß auf dem Mars nachdrücklich gesagt; und Nirgal sah jetzt, daß es auf der Erde Menschen gab, die das - zumindest teilweise - immer geglaubt hatten. Unten in Bern nannte man das Wertwandel, Änderung von Werten. Aber es konnte ebenso gut die Entwicklung von Werten sein, Wiederkehr von Werten, allmählicher Wechsel anstelle punktuellen Gleichgewichts. Wohlwollende restliche Archaismen, die immer weiter andauerten, bis die hohen isolierten Berge langsam die Welt gelehrt hatten, wie man leben sollte. Ihre großen Bauernhäuser, die auf grünen Wellen schwammen. Ein gelber Sonnenstrahl spaltete die Wolken und traf auf die Hügel hinter einer solchen Farm; und die Alm erglühte wie ein Smaragd so intensiv, daß Nirgal die Orientierung verlor und richtig betäubt wurde. Es war schwer, das Auge auf ein so strahlendes Grün zu konzentrieren!
Der heraldische Hügel verschwand. Im Fenster erschienen andere, eine grüne Welle nach der anderen, leuchtend in ihrer Wirklichkeit. Bei der Stadt Interlaken machte der Zug eine Kurve und begann ein Tal hochzuklettern, das so steil war, daß die Waggons stellenweise in Tunnels in den Flanken der Berge fuhren und innerhalb der Berge eine Spirale von 360° beschrieben, ehe sie wieder ans Tageslicht kamen, wo dann der Kopf des Zuges sich direkt über seinem Ende befand. Der Zug fuhr auf Gleisen anstatt auf Fahrbahnen, weil die Schweizer nicht überzeugt waren, daß die neue Technik genügend fortgeschritten war, um das zu ersetzen, was sie schon hatten. Und so vibrierte der Zug und schwankte sogar hin und her, während er bergauf rumpelte, Stahl auf Stahl.
Sie hielten in Grindelwald, und im Bahnhof folgte Nirgal seiner Begleitung zu einem kleineren Zug, der sie hoch unter die riesenhafte Eiger-Nordwand brachte. Von unten schien diese steinerne Wand nur ein paar hundert Meter hoch zu sein. Nirgal hatte aus fünfzig Kilometern Entfernung im Münster von Bern eine bessere Vorstellung von ihrer immensen Höhe gewonnen. Hier wartete er jetzt geduldig ab, als der kleine Zug in einen Tunnel im Berg brummte und seine Spiralen und Kehren in der Dunkelheit begann, markiert nur durch die Innenbeleluchtung des Zuges und das kurze Licht aus einem Seitentunnel. Seine etwa zehn Mann starke Begleitung unterhielt sich leise im gutturalen Schweizerdeutsch.
Als sie ins Licht hinauskamen, waren sie in einem kleinen Bahnhof, genannt das Jungfraujoch, dem >höchsten Bahnhof Europas<, wie ein Schild in sechs Sprachen verkündete. Kein Wunder, er befand sich auf einem eisigen Paß zwischen den beiden großen Spitzen von Mönch und Jungfrau in 3454 Metern Meereshöhe. Endstation.
Nirgal stieg, mit seiner Begleitung im Gefolge, aus und betrat vom Bahnhof aus eine schmale Terrasse vor dem Gebäude. Die Luft
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