Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars
westlichen Bergkette angelangt. Von der Sonne waren sie für diesen Tag endgültig abgeschnitten, und der Wind fegte wenig hilfreich über den Bergrücken. Wirklich kalt. Immerhin war es gerade diese Art von Temperatur und diese Art von Luft, die einen kleinen angenehmen Schuß von extra Dichte hatte. Und so fing er trotz des Gewichts in ihm an, sich in leichtem Laufschritt die harte Kruste hochzuarbeiten. Er beugte sich vor und fühlte, wie seine Muskeln auf diese Herausforderung ansprachen und in ihren alten lung-gom-pa-Kkythmus verfielen. Seine Lungen pumpten hart, genau wie sein Herz, um mit dem Extragewicht fertig zu werden. Aber er war stark, stark; und dies war eine der hohen marsartigen Regionen der Erde. Er fühlte sich jede Minute stärker, während er durch den Firn stampfte, obschon erschrocken, erheitert und eingeschüchtert. Es war schon ein höchst erstaunlicher Planet, der so viel Weiß und auch Grün haben konnte; dessen Orbit so haarscharf verlief, daß auf Meereshöhe das Grün explodierte und um sich auf dreitausend Metern unvermittelt völlig von dem Weiß verdecken zu lassen. Die Zone, die vor Leben strotzte, war gerade mal tausend Meter breit. Und die Erde rollte mitten in dieser dünnen Biosphärenblase, in den richtigen paar tausend Metern in einem Orbit von 150 Millionen Kilometern Weite. Das war zu glücklich, als daß man es glauben konnte.
Seine Haut juckte von der Anstrengung; er war überall warm, sogar seine Zehen. Er fing an zu schwitzen. Die kühle Luft war angenehm stärkend. Er hatte den Eindruck, daß er dieses Tempo stundenlang durchhalten könnte. Aber leider war das nicht nötig. Vor und etwas über ihm lag die Schneetreppe mit ihrem Geländer aus Seil und in den Schnee geschlagenen Pfosten. Seine Führer vor ihm kamen gut voran und eilten die letzte Steigung empor. Bald würde auch er dort sein, in der kleinen Bahn/Weltraum-Station. Diese Schweizer verstanden sich wirklich aufs Bauen! Daß man den Concordiaplatz in einem Tagesausflug von der Landeshauptstadt besuchen konnte! Kein Wunder, daß sie den Mars so gern hatten. Sie kamen Marsianern am nächsten, echte Baumeister, Terraformer und Bewohner der dünnen kalten Luft.
So fühlte er sich ihnen wohlgesonnen, als er auf die Terrasse trat und dann in die Station stürmte, wo er sofort zu dampfen begann. Und als er zu der Gruppe seiner Eskorte und den anderen Passagieren ging, die auf den nächsten Zug warteten, strahlte er über das ganze Gesicht und war so in Hochstimmung, daß die mürrischen Gesichter der Gruppe (er merkte, daß er sie hatte warten lassen) sich glätteten und sie einander ansahen und lächelten. Sie schüttelten die Köpfe, als ob sie sagen wollten: Da kann man nichts machen! Man konnte nur grinsen und es geschehen lassen. Sie waren alle in jungen Jahren zum ersten Mal an einem sonnigen Sommertag in den Hochalpen gewesen und hatten die gleiche Begeisterung gefühlt. Sie erinnerten sich, wie das gewesen war. Und so schüttelten sie ihm die Hand und umarmten ihn. Sie gingen los und führten ihn zu dem kleinen Zug; denn ungeachtet der sich lösenden Stimmung war es nicht gut, einen Zug warten zu lassen. Dabei bemerkten sie seine roten Hände und sein gerötetes Gesicht und fragten ihn, wohin er gegangen wäre. Sie sagten ihm, wie viele Kilometer das waren und wieviel in der Vertikalen. Sie reichten ihm eine kleine Taschenflasche Schnaps. Und als dann der Zug an dem kleinen Seitentunnel vorbeikam, der zur Eiger-Nordwand führte, erzählten sie ihm die Geschichte von der mißlungenen Bergung der dem Tode geweihten Nazi-Bergsteiger und waren aufgeregt und bewegt, daß er so beeindruckt war. Danach machten sie es sich in den beleuchteten Abteilen des Zuges bequem, der durch seinen Tunnel aus rohem Granit quietschte.
Nirgal stand am Ende eines Wagens und sah sich den mit Dynamit gesprengten Fels an, der an ihnen vorbeiraste. Als sie dann wieder ins Sonnenlicht trafen, ragte die Eiger-Nordwand steil vor ihm auf. Ein Passagier kam unterwegs zum nächsten Wagen an ihm vorbei, blieb stehen, sah ihm ins Gesicht und bemerkte: »Ich muß sagen, ich bin erstaunt, Sie hier zu sehen. Ich bin gerade vorige Woche Ihrer Mutter begegnet.«
»Meiner Mutter?« fragte Nirgal erstaunt »Ja, Hiroko Ai. Stimmt das nicht? Sie war in England und arbeitete mit Leuten an der Themsemündung. Ich habe sie auf dem Weg hierher getroffen. Das ist ein erstaunlicher Zufall, Ihnen beiden zu begegnen, das muß ich sagen. Ich könnte fast
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