Mars
ckkehrte.
Mikhail war noch nicht geboren, als Juri Gagarin seinen epochalen ersten Weltraumflug um die Erde unternahm. Aus seiner fr ü hen Kindheit erinnerte er sich vage an unscharfe Fernsehbilder von den Amerikanern auf dem Mond. W ä hrend all der langen Jahre seiner Jugend hegte er den geheimen Ehrgeiz, der erste Mensch zu sein, der den Fu ß auf den Mars setzte.
Er erz ä hlte niemandem etwas von seinem Traum. Nur einmal, als er noch ein Kind war, in einer dunklen Herbstnacht, als der erste Schnee des Jahres sanft vom Himmel rieselte und das schmierige alte Wolgograd mit einer sauberen wei ß en Schicht bedeckte, sprach er dar ü ber mit seinem Bruder, der halb schlafend im Bett neben dem seinen lag.
» Mars « , sagte sein Bruder vertr ä umt und v ö llig schlaftrunken.
» Ich will der erste Mensch auf dem Mars sein « , fl ü sterte Mikhail.
» Der erste, was sonst. « Nikolai drehte sich in seinem Bett um. » In Ordnung, kleiner Miki. Du darfst der erste sein. Ich gebe dir meine Erlaubnis. Jetzt la ß mich schlafen. «
Mikhail l ä chelte in der Dunkelheit, und als er tr ä umte, tr ä umte er vom Mars.
SOL 6
NACHMITTAG
Mitten an diesem Nachmittag gelangten sie an den Rand des Canyons, genau dorthin, wohin Jamie gewollt hatte, an die Verbindungsstelle dreier breiter Spalten im Boden, die ihn an von wild dahinschießendem Wasser in den Wüstenboden gegrabene Arroyos erinnerten.
Aber größer. Gigantisch. Wie der Grand Canyon, nur daß es auf ihrem Grund keinen Fluß gab. Jamie stand zu ebener Erde an der Stelle, wo die drei gewaltigen Gräben ineinanderliefen, und konnte die andere Seite kaum sehen. Er spähte in die Tiefe hinunter und schätzte, daß die Böden der Canyons über einen, vielleicht sogar anderthalb Kilometer unter ihm liegen mußten, nichts als rotgetönter Fels, dessen Sprünge und Risse davon herrührten, daß er seit Ewigkeiten in der Sonne aufgeheizt und des Nachts bis tief unter den Gefrierpunkt abgekühlt wurde.
Er kam sich auf einmal klein und unwichtig vor, wie eine Ameise, die am Rand eines normalen Arroyos in New Mexico balancierte. Einen schwindelerregenden Augenblick lang hatte er Angst, vorn ü berzukippen und hineinzufallen.
Auf dem Marsboden hier oben lagen nicht so viele Steinbrocken verstreut, als ob er irgendwann einmal saubergefegt worden w ä re und die Steine nur teilweise wiedergekommen w ä ren. Seltsam, dachte Jamie. Wir sind n ä her an dem von Kratern durchzogenen Territorium im S ü den, aber es gibt hier nicht so viele Einschlagtr ü mmer wie weiter n ö rdlich.
Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Canyons zu und erbebte innerlich von einer bisher ungekannten Erregung. Er war der erste Mensch, der in einen Marscanyon blickte! In die Felsen dort unten mochten eine Milliarde Jahre Planetengeschichte eingeschrieben sein. Zwei Milliarden Jahre. Vielleicht sogar vier. Da konnte man schon Angst kriegen.
Die Wand des Canyons fiel beinahe senkrecht ab. Der Gedanke, diese Felswand hinabzuklettern, erregte und erschreckte ihn zugleich. Der Boden war so weit unten! Aber er konnte ihn vollkommen deutlich sehen. In der d ü nnen Luft lag nicht der leiseste Dunsthauch.
F ü r sein Geologenauge war es ziemlich klar, da ß dieses Schluchtenlabyrinth von einer Splitterung des Bodens herr ü hrte, einem Netzwerk von Verwerfungen in dem darunterliegenden Gestein, das die Kruste geschw ä cht und aufplatzen hatte lassen. Wenn hier Wasser geflossen war – vor wie langer Zeit auch immer – , dann war es diesen Rissen gefolgt, hatte sie verbreitert und vertieft. Wahrscheinlicher ist jedoch, da ß der Permafrost unter der Kruste von Zeit und Zeit schmilzt und den Boden unterminiert, bis er zusammenbricht.
» Ist es so passiert? « fragte Jamie die schweigenden Arroyos mit nahezu unh ö rbarem Fl ü stern. » Wie lange ist das schon her? «
Die gewundenen Schluchten blieben stumm.
Je l ä nger Jamie in die tiefen Erosionst ä ler hinunterstarrte, desto deutlicher wurde ihm, da ß es hier keine gewaltige, dahinschie ß ende Flut gegeben hatte. Der Mars ist eine sanfte Welt, sagte er sich. Der Boden bebt nicht. Es gibt keine St ü rme. Falls es jemals eine Flut auf diesem Planeten gegeben hat, dann nicht hier.
Er richtete sich auf und schaute ü ber den gewaltigen Abgrund hinweg zur anderen Seite des Canyons hin ü ber. Unsere Unwissenheit ist noch gr öß er. Selbst wenn s ä mtliche Geologen der Erde ihr ganzes Leben hier verbr ä chten, w ü rde das nicht
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