Marsha Mellow
Land so lange nicht verlassen, bis sie ihre Strafe verbüßt hat. Das Schiedsgericht hat sie wegen vorsätzlicher Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe sowie zu 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Dabei hat sich der Richter wirklich etwas sehr pädagogisch Wertvolles einfallen lassen. Sie muss nämlich in einer Beratungsstelle für Schwule arbeiten. Wahrscheinlich tütet sie gerade Infobroschüren über Safer Sex ein.
Als ich Ant das alles am Telefon berichtet habe, konnte ich sein Gelächter über den Atlantik hinweg hören. Er und Alex haben sich noch einmal zusammengerauft. Es klang zwar nicht alles nach eitlem Glück zu zweit, aber Ant hat sich tatsächlich gebessert. Zumindest ein wenig. Jedenfalls hat er geschworen, dass er sich a) nur noch mit Männern auf Affären einlassen und b) Letztere auf eine einstellige Zahl pro Kalendermonat beschränken wird.
Siebter Tag: Lisa war shoppen. In ihrem Zimmer begutachten wir gerade ihre neuen Errungenschaften.
»Schau mal«, meint sie und hält eine hübsche beigefarbene Handtasche hoch. »Bei uns kostet die ein Vermögen, und hier habe ich gerade einmal 700 Baht dafür bezahlt - das sind umgerechnet...« Sie unterbricht sich, um es im Kopf auszurechnen. »... gerade einmal zehn Pfund.«
Sie macht die Handtasche auf und mustert das Label.
»Moment mal. Schreibt man Chanel mit einem oder mit zwei N?«
Ich lache schallend los. Vielleicht wird der Urlaub ja doch noch was.
Neunter Tag: Lewis ist auf dem Zimmer - jetzt hat ihn der Magen-Darm-Virus erwischt. Lisa präsentiert sich draußen ihren Fans. Kurt hat beschlossen, sich einen Tag Auszeit zu gönnen, wovon auch immer, und trottet Lisa hinterher. Offenbar wird sie von jedem Bewohner der westlichen Hemisphäre, der sich gerade in Phuket aufhält, erkannt, sodass sie die ganze Woche kein einziges Getränk selbst bezahlen musste.
Im Moment sitze ich allein an der Hotelbar. Trotzdem bin ich ziemlich guter Stimmung. Ich habe mir nämlich Lewis‘ Laptop geborgt und hacke gerade das letzte Kapitel des nächsten Marsha-Mellow-Romans in die Tasten. In der Tat war es unumgänglich, dass mich die amerikanischen Matrosen und die Busladungen voller Huren inspiriert haben. Das wird mein bestes Buch - na schön, es ist erst das zweite. Aber dafür das saftigste.
Ich hätte es schon vor einer Ewigkeit zu Ende bringen können, wären da nicht die ständigen Unterbrechungen gewesen. Hier naht gerade die nächste in Gestalt einer australischen Rucksacktouristin, die wohl auch zu Lisas Fans gehört.
»Verzeihung«, spricht sie mich schüchtern an, »sind Sie nicht die Schwester von Marsha Mellow?«
»Ja«, entgegne ich stolz, »die bin ich.«
Zwölfter Tag: Ich räkele mich wie eine zufriedene Katze auf meinem Handtuch, nehme einen langsamen Schluck von meinem Daiquiri und beobachte durch halb geschlossene Lider den spektakulären Sonnenuntergang über dem Andaman Meer. Noch immer spüre ich die wohltuende Wirkung der Thai-Massage, und ich habe alle Zeit der Welt, das Leben in vollen Zügen zu genießen. Ein Stück weiter unten am Strand tollen Lisa und Kurt unter einer Palme herum. Die beiden sehen total glücklich aus - obwohl, musste sie gerade so stark zuschlagen? Ich sehe, wie eine gebräunte Gestalt aus dem warmen, kristallklaren Wasser auftaucht und auf mich zukommt. Ich betrachte seinen Körper, wobei ich mich frage, ob ein persönlicher Fitnesstrainer ein passendes Geburtstagsgeschenk für ihn wäre oder ob er es für einen billigen Racheakt von mir halten würde, nachdem er mich als Geburtstagsüberraschung bei einer Hypnosetherapie angemeldet hat, damit ich mir das Rauchen abgewöhne. Er beugt sich herunter, um mir einen langen, salzigen Kuss zu geben, und hockt sich neben mich auf den weichen weißen Sand. »Du schienst gerade mit deinen Gedanken ganz weit weg zu sein«, meint er. »Träumst du schon wieder am helllichten Tag?«
»Dieses Mal nicht«, antworte ich.
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