Marshall McLuhan
nicht, um einen Text mit Freude zu lesen.
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Die Comicfigur Dagwood Bumstead ist in Deutschland bekannt geworden unter dem Namen »Dankwart Bumskopp« in den Heften »Blondie«, dem Namen von Bumsteads Gattin, (Goldmann 1977) und »Bumskopp & Co« (ebenda 1981). A. d. Ü.
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Jeder Mensch geht davon aus, dass seine oder ihre Weltsicht die einzig wahre und vernünftige ist. Marshall war da keine Ausnahme. Seine Vorurteile spiegeln sowohl seine Erziehung als auch sein Bekenntnis zum Katholizismus wider. Es will nicht so recht zusammenpassen, dass der Mann in mancher Hinsicht dem Rest der Welt so weit voraus und in anderer so rückschrittlich war. Und ich glaube nicht, dass es darum geht, der Zeit voraus oder hinter der Zeit zurück zu sein. Marshall glaubte nicht an die Zeit. Er glaubte an die Ewigkeit. Das Leben auf Erden war nur eine Phase innerhalb eines längeren Prozesses. Seine Gleichgültigkeit gegenüber dem, was wir »Zeit« nennen, hat ihn womöglich von der Gesellschaft entfernt, aber dass er den Kalender ignorierte, bewahrte ihn auch vor vorgefassten Meinungen und Annahmen, die ihn (und jeden anderen) in seinem Denken begrenzt hätten. Ich erinnere mich an einen alten Film mit Cary Grant und Ingrid Bergman,
Berüchtigt
, der im Zweiten Weltkrieg in Miami spielt. Es fängt an mit einer Partyszene, in der sich Ingrid Bergman betrinkt und irgendwann sagt: »Cary, wir sind beide so unglaublich betrunken, lass uns irgendwo hinfahren.« Also setzen sie sich in Carys Cabrio, fahren los und werden von einem Polizisten angehalten, der (in etwa) sagt: »Okay, ihr Spaßvögel, seht zu, dass ihr etwas vorsichtiger fahrt, ihr habt beide ganz schön einen im Kahn« … und dann fahren sie weiter. Was mich an der Szene am meisten gewundert hat, war gar nicht mal, dass sie betrunken Auto gefahren sind, sondern die Tatsache, dass sie beide geraucht haben. Womit ich sagen will, dass jeder von uns sich ständig diverser tatsächlicher und gedanklicher Vergehen schuldig macht, die erst noch von zukünftigen Generationen erfunden und verurteilt werden müssen. Das entschuldigt nicht Marshalls Verhalten, erklärt es aber vielleicht ein wenig.
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Vortizismus war eine Kunstrichtung, die – wie der Futurismus in Italien – auf die moderne Welt reagierte, indem sie das neue Erscheinungsbild der industriellen und sozialen Landschaft aufgriff und sich – wie der Kubismus – durch ihre facettierte, flüssige Darstellung physikalischer Erscheinungen und der menschlichen Psyche auszeichnete. Ihre literarischen Erzeugnisse beschäftigten sich insbesondere mit der Fragmentierung und der Kraft von Sprache um ihrer selbst willen. Vieles davon erschien in der, von Lewis herausgegebenen, revolutionären Literaturzeitschrift BLAST, die mit textlichen Freiheiten, Layout, Grafik und typografischen Experimenten versuchte, die Message zu veranschaulichen.
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Verwandte von mir, die in den fünfziger Jahren in Toronto lebten, erinnern sich an eine gespenstische Langeweile und Ereignislosigkeit – eine Glasglocke, unter der alles unverändert blieb und sämtliche Entscheidungen für das eigene Leben schon von anderen getroffen worden waren. Als sich in den sechziger Jahren dann tatsächlich etwas tat, hatte der jahrzehntelange Stillstand dieselben Leute bereits so programmiert, dass die gesellschaftlichen Veränderungen ihnen Angst einjagten. Allgemein war man der Meinung, dass es von 1960 bis zur Ermordung Kennedys im November 1963 richtig gut lief – und 1967 war ganz okay.
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Meinen Beobachtungen zufolge stellen sich Nordamerikaner Geschichte als eine Linie auf einem Schaubild vor, die stets nach oben führt, irgendwohin. Bei Europäern verläuft die Linie tendenziell horizontal, einfach von
links nach rechts. Marshall stellte sich Geschichte als eine Linie mit stark absteigendem Gefälle vor. Nur um meine Position klarzustellen, ich stelle mir Geschichte nicht als Linie vor – ich stelle sie mir als eine sich ständig verformende Masse vor, die eher eine Gestalt als eine Richtung hat.
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In Marshalls Augen hatte Kanada keine eigene, übergeordnete Identität – und wahrscheinlich war es gerade das, was Toronto zum Aufbruch in die Internationalität verhalf. Am deutlichsten wurde die Frage nach der Identität vielleicht auf der Weltausstellung ’67 in Montreal, deren Motto eine Welt ohne Nationen war, beziehungsweise »Der Mensch und seine Welt« (obgleich die Pavillons nach Ländern unterteilt waren).
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Die
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