Marter: Thriller (German Edition)
bleibt weiterhin ungewiss.
Beim ersten Mal, als man ihn – in einer anonymen Nachricht – auf diese ergänzenden Worte hingewiesen hatte, hatte Daniele den Text kurzerhand gelöscht. Doch binnen Sekunden war er wieder aufgetaucht. Das Gleiche passierte die folgenden drei Male, da er ihn entfernte. Jemand hatte einen Bot erzeugt, eine simple Software, die darauf programmiert war, ständig diese eine Aufgabe zu erledigen und den Wikipedia-Artikel wieder und wieder abzuändern, sobald er ihn korrigierte. Das Ganze war auf den ersten Blick harmlos, aber dennoch eine fiese Folter, die zwar keinerlei Konsequenzen hatte, jedoch unmissverständlich zeigte, dass diejenigen, die es auf ihn abgesehen hatten, bis zum Äußersten gehen wollten.
Oder aber, so dachte er jetzt, es war ein Hinweis darauf, ihn genau das glauben zu machen: Dass sie nichts unversucht lassen würden, um ihn zu vernichten.
Er hätte spielend leicht ein besseres Programm schreiben können, um den letzten Abschnitt immer wieder zu löschen und die Seite zu sperren, doch sah er keinen zwingenden Grund dazu. Es gab nur drei oder vier Leute auf der Welt, auf deren Meinung er etwas gab, und er hatte kein großes Interesse daran, was die anderen sechs Komma neun Milliarden von ihm hielten. Der gesamte Wikipedia-Eintrag über ihn war jedenfalls voller Halbwahrheiten und fehlerhafter Darstellungen.
Daniele Marcantonio Barbo , *1971, ist ein italienischer Mathematiker und Computerhacker. Er ist bekannt als Gründer von Carnivia, ein soziales Netzwerk zum Austausch von Klatsch, Tratsch und Informationen mit Sitz in Venedig, Italien. Die Seite erfreut sich zwei Millionen regelmäßiger User. [1]
1 Frühe Kindheit und Entführung
2 Verurteilung wegen Computerbetrugs
3 Gründung von Carnivia
4 Die Entwicklung von Carnivia
Frühe Kindheit und Entführung
Daniele Barbo wurde in die aristokratische Barbo-Dynastie Venedigs hineingeboren, deren geschäftliches Interesse zu jener Zeit unter anderem Alfa-Romeo -Fahrzeugen galt. Sein Vater Matteo war ein notorischer Playboy, ehe er den familieneigenen Treuhandfonds übernahm. In späteren Jahren widmete Matteo sich der Etablierung der Kunststiftung, die den Namen seiner Familie trägt.
Daniele Barbos Kindheit fiel in die Zeiten des soziopolitischen Aufruhrs in Italien, auch bekannt als die anni di piombo oder die »bleiernen Jahre«. Obwohl sein Vater angeblich progressive Industriekontakte favorisierte, machten das Ansehen der Familie sowie ihr Reichtum sie zu einem Ziel von linksextremen Organisationen wie der Brigate Rosse oder der Roten Brigaden .
Am 27. Juni 1977 im Alter von sieben Jahren wurde Daniele Barbo Opfer einer Entführung. Damals wurde allenthalben berichtet, dass die italienische Regierung Druck auf seinen Vater ausübte, nicht mit den Kidnappern zu verhandeln [2] , obwohl man später behauptete, dies sei ein Ablenkungsmanöver der Sicherheitskräfte gewesen, mit dessen Hilfe man Zeit gewinnen wollte bei der Suche nach ihm. Am 4. August 1977 erhielten Matteo und seine amerikanische Ehefrau Lucy Danieles Ohren und Nase in der Post.
In einer darauffolgenden Operation, geleitet von italienischen Sondereinsatzkräften, wurde der Junge befreit und alle sieben Kidnapper getötet beziehungsweise festgenommen. Die drei überlebenden Entführer weigerten sich, mit den Richtern zu kooperieren, mit der Begründung, das Gericht sei Teil der para-kapitalistischen Hegemonie [3] . Sie wurden jeweils zu einer Gefängnisstrafe zwischen zwanzig und vierzig Jahren verurteilt. [4]
Verurteilung wegen Computerbetrugs
In der Zeit nach dem Prozess hörte man von Barbo bis in die frühen 1990er nicht viel, auch wenn es heißt, dass er eine Einrichtung für taube Kinder besuchte, ehe er nach Harvard ging, um dort Mathematik zu studieren. In Harvard zeichnete er sich durch eine recht ungewöhnliche Arbeit über Kybernetik (genauer gesagt über die Anwendung der Kullback-Leibler-Divergenz auf komplexe dynamische Systeme ) aus, welche in einer referierten Fachzeitschrift veröffentlicht wurde. [5]
Im Jahr 1994 wurde er neben weiteren Personen für den Hackangriff auf den Comcast -Konzern verhaftet. Eine Gruppe von Computeraktivisten hatte damals die Kontrolle über die Website des Kabelnetzbetreibers übernommen, angeblich als Racheakt für den schlechten Kundenservice des Giganten. Ihre Methode war ebenso einfach wie effektiv. Sie verschafften sich Zugang zur Datenbank des Unternehmens, von welchem Comcast den Namen der
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