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Marx, my Love

Marx, my Love

Titel: Marx, my Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Grän
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einfallslos und selber rechthaberisch seien. Nach seiner Vermutung hat Harry seit mindestens zwei Jahren keinen Auftrag mehr bekommen. Doch, sagte Anna, und erwähnte die Produzentin. Seine Reaktion war: Oh mein Gott. Und dann legte er erst recht los, während er mit Anna in Sibylles Kneipe Bier trank und seiner Ex-Affäre bisweilen anerkennend auf den Hintern starrte, als diese an den Tischen bediente.
    Ich habe mehr über die Stark als über Harry erfahren, denkt Anna, und sie blickt halb zu Boden, als ihr Zielobjekt das Haus verlässt, den Gartenweg entlangschlendert, das ohnehin kaputte Tor offen stehen lässt. Wie erwartet geht er in Richtung seiner Frühstückskneipe. Er trägt schwarze Hosen und einen schwarzen Pullover, das hatte er gestern schon an. Er ist unrasiert und die Haare sind extrem kurz geschnitten. Aber er sieht nicht übel aus. Klug. Die Brille nimmt er beim Gehen ab und steckt sie in die Hosentasche. Er schlurft beim Gehen, gut möglich, dass er an einem Bandscheibenschaden leidet. Das Los der Sitzenden, die in die Jahre kommen, obwohl er im Vergleich zu Anna ein Jüngling ist.
    Noch vierzehn Tage bis zur Stunde null. Sie hat sich immer noch nicht entscheiden können, ob sie verreisen, den Tag im Bett verbringen oder sich umbringen soll.
    Ist Harry verheiratet oder sonstwie liiert? Hat sie vollkommen vergessen, obwohl das natürlich wichtig ist. Ebenso wie die Frage, ob er kokst, die Steuer betrügt, Päderast ist, Masochist oder Sadist, Alkoholiker, Schläger… was immer es an menschlichen Neigungen gibt. Könnte man die Fantasie scannen, würde wohl jeder mit einem Fuß im Gefängnis stehen… oder mit beiden Beinen.
    Harry schaut in den Himmel wie Anna, während er geht. Sie sieht ihm nach und wünscht sich für einen Augenblick, nichts zu finden, das sie gegen ihn verwenden könnte. Eine sentimentale Anwandlung, die sie mit einer Zigarette und der Erinnerung an ihre Steuererklärung bekämpft. Dann steht sie auf und schlendert in Richtung des Hauses. Ungeklärte Besitzverhältnisse, wie so oft in Berlin. Von den Nazis arisiert oder den Kommunisten konfisziert, und die Stadt vermietet die Ruine einstweilen zu Billigmieten unter der Auflage, dass die nötigsten Reparaturen vorgenommen werden. Woran sich natürlich keiner hält.
    Das Gartentor fällt beinah aus den Angeln, als Anna es berührt. Kein Namensschild, keine Klingel. Der Garten muss einmal prächtig gewesen sein, jetzt ist er nur noch Großstadtdschungel. Brennnesseln und Himbeerranken überwiegen, und Efeu schlängelt sich ungehindert über Boden und Mauern. Als Anna sich den Abfalleimern nähert, meint sie, eine Ratte zu sehen, die davonläuft. Vielleicht war es eine Maus, aber eine sehr große…
    Sie späht durch die ungeputzten Fenster ins Innere. In einem großen Raum, der einmal der Salon war, stehen ein Bett und ein Schreibtisch, auf dem sich ein Computer älterer Generation befindet. Eine Stereoanlage und ein Fernsehapparat komplettieren die Innenausstattung; Bücher, Zeitschriften und Kleidung sind in mehr oder weniger großen Haufen auf dem Boden verteilt. Harry scheint Rotweintrinker zu sein, denn viele leere Flaschen sind in einer Ecke aufgebaut. Von der Decke hängen japanisch inspirierte Ikea-Lampen, das Zimmer entspricht den Minimalanforderungen an Gemütlichkeit. Nun, vielleicht braucht er das nicht, weil er ein Genie ist.
    Harry weiß zu viel, um kreativ zu sein, sagte der Filmagent, mit dem Anna eine lange Nacht im »Mondscheintarif« verbrachte. Dieser Mann war stolz darauf, nur das zu wissen, was man braucht, um einen Porsche zu fahren. Es wurde zwei Uhr früh, wenn sie sich recht erinnert, später wechselten sie von Bier zu Rotwein, und zuletzt machte Sibylle eine Flasche Schampus auf. Italienischen, der auf der Zunge prickelte und von dort direkt in Annas alkoholgeschwängerten Kopf stieg. Früher hat sie mehr Alkohol vertragen, alles wird ein bisschen weniger mit den Jahren. Sex vor allem.
    Man müsste als Greis auf die Welt kommen, das Leben lernen und als Baby sterben, das wäre angemessener. John Malkovitch hat das einmal gesagt, ein Schauspieler, den Anna nur zu gern auf ihrer Bettkante sehen würde. Er ist ungefähr in ihrem Alter, aber was heißt das schon bei Männern. Sibylle, die in dieser Nacht noch eine Verabredung mit einem erfolglosen Maler hatte, schlug vor, dass Anna und der Filmagent die Nacht gemeinsam beschließen sollten. Weil es doch so schrecklich sei, nach einem schönen Abend einsam ins

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