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Mary, Tansey und die Reise durch die Nacht

Mary, Tansey und die Reise durch die Nacht

Titel: Mary, Tansey und die Reise durch die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Doyle
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meine damit, dass die Straße keine Kurven hat«, sagte Emer. »Obwohl da welche sein sollten. Fahren wir überhaupt in die richtige Richtung?«
    »Ja!«
    »Und wo ist dann Ashford?«, sagte Emer.
    »Da gibt’s eine Umgehung!«, sagte Scarlett.
    »Eine was?«
    »Eine Umgehung!«
    »Meine Güte.«
    Eine Weile schwiegen sie.
    »Gibt es überhaupt keine Kurven mehr, Scarlett?«
    »Nein!«, sagte Scarlett. »Jedenfalls nicht, dass ich wüsste. Es geht den ganzen Weg über geradeaus. Tut mir leid.«
    Jetzt sprach Tansey, zum ersten Mal seit einer Ewigkeit.
    »Die eine oder andere Kurve fand ich immer ganz nett«, sagte sie.
    »Ja, klar«, sagte Emer. »Es geht doch nichts über eine nette kleine Kurve.«
    »Man weiß nie, was einen dahinter erwartet.«
    »Ah, verstehe … Mama.«
    Mary hörte die beiden Frauen hinter sich kichern.
    »Was ist so witzig?«
    »Ich«, sagte Emer. »Dass ich sie hier ›Mama‹ nenne. Das ist schon ein Ding.«
    »Sie ist deine Mama.«
    »Das weiß ich«, sagte Emer. »Aber es ist trotzdem ein Ding. Ich bin achtzig und ein paar Gequetschte, ich hab’s vergessen. Und sie hier muss weit über hundert sein.«
    »Bin ich.«
    Mary lächelte, doch besorgte es sie, als sie sah, dass die Augen ihrer Großmutter sich wieder schlossen. Irgendwas stimmte daran nicht – selbst in der Dunkelheit, oder vielleicht wegen der Dunkelheit. Es war, als würde mit den Augen auch das Gesicht ihrer Großmutter sich schließen. Als wäre sie nicht mehr ihre Großmutter oder überhaupt irgendwer. Trotzdem schaute sie weiter hin, obwohl es schwierig war, angegurtet und von der Geschwindigkeit des Wagens in den Sitz gepresst, nach hinten zu schauen. Sie wartete auf ein Gähnen, ein Muskelzucken, irgendein Anzeichen dafür, dass ihre Großmutter bloß schlief.
    »Vielleicht hätten wir bis Tagesanbruch warten sollen«, sagte Tansey. »Man kann überhaupt nichts sehen.«
    »Nur die Dunkelheit«, sagte Emer, die Augen immer noch geschlossen.
    Mary lachte und wandte sich ab, um wieder nach vorn zu schauen.
    »Was wäre denn hier zu sehen, wenn man etwas sehen könnte?«, fragte Tansey.
    »Wir fahren gerade an Arklow vorbei!«, sagte Scarlett.
    »Gott sei Dank«, sagte Emer. »Das ist eine der Städte, die ich gerne umgehe.«
    »Dann ist es also nicht mehr weit«, sagte Tansey.
    »Nein!«
    Danach sprach keine mehr.
    Für eine ganze Weile.
    Abseits der Straße tauchten Bauernhöfe auf. Es ging auf Mitternacht zu und die meisten Fenster waren dunkel, aber über einigen Hauseingängen brannten Lampen. Mary begann sie zu zählen, bis nach der siebten eine Lücke entstand und sie vergaß, womit sie sich beschäftigt hatte.
    »Gorey!«
    »Wo?«
    »Wir fahren gerade dran vorbei.«
    »Welche Seite?«
    »Weiß ich nicht!«, sagte Scarlett.
    »Das ist doch albern«, sagte Tansey. »Man kann nicht mehr nach Gorey reinfahren, sondern nur noch daran vorbei?«
    »Natürlich kann man reinfahren!«, sagte Scarlett. »Man muss bloß diese Straße verlassen!«
    »Früher habe ich in Gorey gearbeitet«, sagte Tansey. »Und in Gorey habe ich Jim kennengelernt, Emers Vater.«
    »Willst du nach Gorey rein?«
    »Nein«, sagte Tansey. »Es wäre anders als früher. Ist bestimmt besser, wenn ich es mir nicht anschaue.«
    »Also, so übel ist Gorey gar nicht«, sagte Emer.
    Die beiden Frauen auf dem Rücksitz kicherten wieder. Diesmal drehte Mary sich nicht zu ihnen um. Das Kichern hörte auf und die Stille kehrte zurück, nur die Reifen auf dem Asphalt – ein anderes Geräusch hörte Mary nicht, bis ihre Mutter seufzte. Mary sah zu ihr rüber und bemerkte, wie sie gähnte.
    »Müde?«
    »Nein!«
    »Lügnerin.«
    »Oh!«, sagte Scarlett. »Guckt mal!«
    Sie kamen ans Ende der langen, geraden Straße. Vor ihnen lag ein Verkehrskreisel. Seit der Wagen das letzte Mal verlangsamt hatte, schienen Jahre vergangen zu sein. Mary spürte es in ihrem Brustkorb, als sie, sehr sanft, gegen ihren Sicherheitsgurt gedrückt wurde.
    »Sind wir schon da?«
    »Noch nicht!«
    Vor ihnen konnten sie die Umrisse von Enniscorthy erkennen, die Kathedrale und, jenseits des Flusses, die stumpfe Hügelkuppe des Vinegar Hill.
    »Ach, seht mal«, sagte Tansey. »Das Schloss steht immer noch da!«
    »Natürlich steht es da«, sagte Emer.
    Sie fuhren langsam durch die Stadt.
    »Sie ist viel größer als damals«, sagte Tansey. »Viel mehr Gebäude und Kurven.«
    »Macht ja nichts.«
    »Aber es immer noch dieselbe Stadt.«
    »So ist es.«
    »Ein gutes altes Städtchen.«
    »Und

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