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Masala Highway

Titel: Masala Highway Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel A Neumann
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ruft eine Frau mit asiatischen Gesichtszügen und amerikanischem Akzent, „oder willst du mit nach Maharashtra?“ Wie? In den nächsten Bundesstaat? Sofort? „Nee, nicht sofort, gleich!“ Die Trance-Hippies warten auf einen Bus, der sie nach Maharashtra bringt – zur Party. Ein handgeschriebenes Plakat im Schaufenster eines ausgeräumten CD-Ladens kündigt das Line-up an: Shai aus den USA, Tom aus Schottland, „Micheal“ aus Italien und noch eine Handvoll andere sollen auflegen. Heute Abend. Wo? „In Maharashtra – der Busfahrer weiß schon wo“, lacht der Typ mit der Sonnenbrille. Nach den Erfahrungen in Goa wollen die Feierwilligen wohl nicht das Risiko eingehen, dass die Polizei vor ihnen auf der Party eintrifft.
    Ich beschließe, lieber die Palmen Goas zu genießen. Die Zeit der großen Full-Moon-Partys in Goa scheint vorbei zu sein. Vielleicht kein so großer Verlust, denke ich mir, als ich mit ein paar anderen um ein Lagerfeuer sitze und ein kühles Bier von einem Tischchen neben mir nehme. Die Sterne über mir kommen ohne den Lärm viel besser zur Geltung.
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    1 Lathi: lange Holzstange. Ein Lathi-charge ist ein Polizeieinsatz mit diesen Schlagstöcken, das Wort wird auch als Verb verwendet: „The crowd was lathicharged“ ist eine in Indiens englischsprachigen Zeitungen regelmäßig vorkommende Formulierung für die gewaltsame Auflösung von Demonstrationen.
    2 Siehe Kapitel „Die Geister von Gurgaon“.
    3 Nahe des Orts Colva liegt ein wunderschöner Strand. Hier war einer der ersten Plätze in Goa, an dem Hotels für Pauschaltouristen entstanden. Heute bietet Colva Beach alle Vor- und Nachteile eines Ortes mit langer Tradition als Reiseziel.
    4 Scooter, also Motorroller und kleine Motorräder wie die Hero Honda, gehören in Goa zu den bevorzugten und unfallträchtigsten Fortbewegungsmitteln. Die kurzen Distanzen des Landes lassen sich mit ihnen ganz gut überwinden. Nicht nur Tankstellen verkaufen Kraftstoff – auch am Kiosk oder über ein am Straßenrand aufgestelltes Brett handeln geschickte Kleinhändler, darunter viele Jugendliche, mit Benzin, abgefüllt in alte Plastik-Wasserflaschen.

Lotusblüten, Hände und Atombomben
    Rote Fahnen, soweit das Auge blickt. Dutzende Männer, die alle die gleichen weißen Hemden tragen, halten Plakate mit Hammer und Sichel in die Höhe. Unser Bus muss wie alle anderen Autos kurz anhalten, zu viele Leute haben sich um die mit rotem Stoff überzogene Bühne am Straßenrand versammelt. So werde ich Zeuge, wie der Redner auf dem Podest jemandem ein Zeichen gibt – und die Melodie der Internationale erklingt. Wird hier ein Geschichtsfilm gedreht? Nein, es ist Wahlzeit in Kerala. Dieser Bundesstaat teilt mit Bayern zwei Gemeinsamkeiten: Beide Länder liegen im Süden ihres Staates, und in beiden bringen Wahlen nur selten Überraschungen. Allerdings waren das dann auch schon die Ähnlichkeiten: In Kerala erhalten nicht die konservativen Kandidaten die meisten Stimmen, sondern – zumindest bei den Wahlen der föderalen Regierung – die Kommunisten.
    Indien ist die größte Demokratie der Welt. Alle fünf Jahre wird das Parlament, die Lok Sabha, gewählt. Bei der Wahl im Jahr 2009 durften 714 Millionen Inder und Inderinnen ihre Stimme abgeben, immerhin 60 Prozent nutzten ihre Chance. Allein die Zahl stellt die Wahlhelfer vor große Probleme: Jeder soll die Möglichkeit haben, seine Stimme abzugeben. Dazu sind mehr als 800 000 Wahllokale nötig. Die werden nicht alle am selben Tag geöffnet: Damit nicht alle Angehörigen des Milliardenvolks gleichzeitig zur Urne gehen müssen, wird die Wahl auf einen Zeitraum von einem Monat verteilt. 2009 waren es fünf Wahltage innerhalb eines Monats, jeder in einem anderen Teil Indiens.
    Für die Verteilung der Wahl auf einen so langen Zeitraum sprechen verschiedene Gründe: Einerseits last sich die fünfteilige Abstimmung einfacher organisieren als eine einzige riesige. Es ist aber auch eine Frage der Sicherheit. Immer wieder gibt es bei indischen Wahlen Tote. Manchmal durch Unfälle, doch immer noch viel zu häufig durch Anschläge. Bei der letzten Wahl war es eine kommunistische Splittergruppe, die maoistischen Naxaliten, die in einigen Gegenden im Norden und Osten Indiens Wahlhelfer und Wähler töteten. Mehrere Hunderttausend Polizisten und Soldaten sind bei jeder landesweiten Wahl im Einsatz, um die Wähler vor Übergriffen zu schützen – ein Kraftakt für den Staat, der noch schwerer zu bewältigen

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