Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Masala Highway

Titel: Masala Highway Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel A Neumann
Vom Netzwerk:
auf einem Plakat – auf Dutzenden. Sehr diszipliniert stellen sich ein paar Hundert Teenager mit den Transparenten in einer Zweierreihe auf. Die Mädchen tragen die üblichen langen farbenfrohen Blusen mit noch längeren Schals über der Brust, viele haben Schuluniformen an. Wären da nicht die Polizisten mit den Lathis 1 und die Sprechchöre der Jugendlichen, ich hielte es für einen Schulausflug. Ein Mädchen, vielleicht achtzehn Jahre alt, fällt mir auf, als sie die Reihen der Demonstranten ordnet, ein paar Anweisungen an ihre Verbündeten gibt und mit einer Polizistin spricht. Was denn hier los sei, frage ich sie. „Oh, wir wollen die geplanten SEZ's verhindern“, antwortet sie. „Say-No-to-S-E-Z!“, skandieren gleichzeitig gut Hundert Schülerinnen mit aller Kraft und hohen Stimmchen. Als sie sieht, dass ich die Abkürzung nicht kenne, schickt sie mich zu einer Freundin, die etwas älter ist. „Hi, ich bin Sangeeta.“ In Goa ist es üblich, einander beim Vornamen anzusprechen. Sangeeta hat in den Niederlanden studiert, ist Anfang zwanzig und übernimmt bei der Organisation der Protestierenden, „Youth for Goa“, die Aufgabe, die darin eingebundenen Schulen zu koordinieren. Sie freut sich, einem deutschen Journalisten Informationen geben zu können: „SEZ steht für ,Special Economic Zone‘ – Sonderwirtschaftszone. Solche Zonen werden nach chinesischem Vorbild in ganz Indien gebaut. Auch bei uns in Goa. Und das wollen wir nicht“. Von dem Großprojekt, mit dem die indische Regierung der indischen Wirtschaft den Anstoß zur Entwicklung zur ökonomischen Weltmacht geben will, habe ich schon gehört – beispielsweise von dem Vorzeigeprojekt, der Satellitenstadt von Gurgaon bei Neu-Delhi, die gleich mehrere SEZs vereint 2 . Meist im positiven Sinne: Die Zonen erleichtern ausländischen Investoren den Einstieg in den indischen Markt. Zwar scheinen die Bedingungen für die Arbeiter noch viel zu oft frühkapitalistisch zu sein, doch es entstehen auch viele moderne Arbeitsplätze, die es sonst nicht in Indien geben würde. Sangeeta kennt die Einwände. Während sich der Demonstrationszug langsam in Bewegung setzt – die Schüler laufen Hand in Hand zu zweit nebeneinander, ein Pärchen hinter dem anderen –, erläutert sie ihren Standpunkt: „Ja, aber Goa braucht keine zusätzlichen Arbeitsplätze – oder nicht so viele. Es sollen mehr als eine Million neue Stellen durch die SEZs geschaffen werden. Dann müssten wir alle einen zweiten Job annehmen!“, grinst sie. Auch in Goa gebe es Arbeitslosigkeit, erklärt sie weiter. Doch sei diese vergleichsweise gering und werde durch den Zuzug aus ärmeren Bundesstaaten, vor allem dem riesigen Nachbar Maharashtra, genährt. Meist seien die Neuankömmlinge ungelernte Arbeiter und – Hindus.
    „Stell dir vor: Wenn zu den eineinhalb Millionen Goanern noch eine Million Maharashtris kommen, was passiert dann mit unserem Land? Mit unserer Gesellschaft?“, ruft Sangeeta empört aus. Was in Mitteleuropa politisch höchst inkorrekt ist, ist für Indien normal: Fragen der Religionszugehörigkeit sind mit gesellschaftlichen Problemen verbunden. Die Eliten in Goa sind christlich geprägt, und gerade weil Indien eine Demokratie ist, fürchten diese Eliten bei einer Zuwanderung anderer gesellschaftlicher Gruppen um ihren Einfluss – und um ihre Identität.
    Ich beobachtete die Proteste von Youth for Goa und einigen verbündeten Initiativen noch einige Monate weiter. Sangeeta war übrigens nicht die einzige Aktivistin, die dabei eine wichtige Rolle spielte. Goanerinnen sind sehr selbstbewusst! Die Pläne, Sonderwirtschaftszonen in Goa einzurichten, wurden erst einmal eingefroren: ein schönes Beispiel für die demokratische Mitbestimmung in Indien. Unsicher bin ich mir allerdings darin, ob es auch ein gutes Exempel für Solidarität in der indischen Gesellschaft ist.
    Die Gespräche mit Sangeeta – es folgten noch einige weitere Treffen – lassen mich die Tourismusindustrie Goas mit anderen Augen sehen. Im Rahmen der damals laufenden Reisebuchrecherche stieß ich immer wieder auf Meinungen wie die des Hotelmanagers, der genug von seinen früheren Gästen hatte. Die Goaner, von den Protestlern von Youth for Goa bis zum einfachen Privatmann, betonen, dass ihnen die Rolle des Tourismus für die Wirtschaft des industriell nicht besonders entwickelten Landesteils bewusst ist. Und nicht nur als Einnahmequelle sind Gäste willkommen, Gastlichkeit ist Teil des goanischen

Weitere Kostenlose Bücher