Mass Effect 02 - Der Aufstieg
sie ihn trug. Und das dünne, geschmeidige Material behinderte ihre Bewegungen kaum. Mit dem Vis-Glas des Visiers und den Audioverstärkern im Helm konnte sie tatsächlich besser sehen und hören als ohne Schutzanzug.
Trotzdem fühlte sie sich unwohl darin. Der Anzug schloss sie vollständig von ihren Tastsinnen ab, wie das Gefühl von warmem Leder, wenn sie ihre Hand auf die Sitzlehne legte oder mit den Fingern dagegen trommelte. Er machte es auch unmöglich, sich mit der Hand durchs Haar zu fahren.
Im Gegensatz dazu schien Gillian es zu lieben, den Anzug zu tragen, und hatte ihn seit dem Treffen mit dem Kapitän auf der Brücke nur einmal ausgezogen. Sie trug ihn sogar während des biotischen Trainings mit Hendel. Kahlee wusste, dass der Sicherheitschef ihr Verhalten merkwürdig fand, aber er ließ sie gewähren. Er bestand jedoch darauf, dass sie den Helm und die Maske während des Unterrichts absetzte. Gillian gehorchte, allerdings nicht, ohne zu protestieren und sich zu beschweren.
Die reine Tatsache, dass sie meckerte, statt stumm zu gehorchen, war ein weiterer Beweis dafür, wie sehr sie sich verändert hatte. Kahlee hatte sich mit Hendel unterhalten, wie weit sich Gillian weiterentwickelt hatte. Und sie berichtete von ihrer Theorie, dass der Anzug dafür sorgte, dass sich das Mädchen psychisch geschützt und zufrieden fühlte. Hendel war allerdings anderer Meinung.
„Ich glaube, es wird besser, weil Cerberus ihr nichts mehr verabreicht.“
Der Gedanke war beunruhigend, aber Kahlee war überrascht, dass sie nicht selbst darauf gekommen war. Es war fraglich, ob Gillians Zustand allein auf das Gebräu zu schieben war, das Jiro ihr gespritzt hatte. Aber es war gut möglich, dass das Mittel ihre Symptome verschlimmert hatte. Irgendwie machte das Wissen, dass das alles mit Graysons Erlaubnis geschehen war, die Tat noch abstoßender.
Das Geräusch der sich öffnenden Schleuse riss sie aus den Gedanken.
„Noch nie was von Anklopfen gehört?“, murmelte Hendel und erhob sich, um ihre Besucher zu begrüßen. Kahlee und Gillian taten dasselbe.
Kahlee hatte erwartet, dass eine Art von Ehrenwache oder ein Sicherheitsteam den Kapitän begleiten würden. Aber wenn dem so war, so wartete es draußen. Abgesehen von Lemm, war Mal allein.
„Danke für die Einladung“, sagte er, nachdem sie sich alle die Hände geschüttelt hatten.
„Wir sind geehrt, dass du hier bist“, antwortete Kahlee. „Setz dich doch bitte und mach es dir bequem.“
Es gab nur vier Stühle in der Passagierkabine. Nachdem alle Erwachsenen saßen, hüpfte Gillian auf Hendels Schoß.
Wieder war Kahlee erstaunt, wie weit sie mit ihr in weniger als zwei Wochen gekommen waren.
Bevor jemand das Wort ergreifen konnte, wurden sie von einem kurzen, gedämpften Piepen unterbrochen, das hinter Mals Maske ertönte: das Geräusch einer eingehenden Nachricht in seinem Helmfunk. Er hielt eine Hand hoch, bat die anderen still zu sein, während er der Botschaft lauschte. Kahlee konnte nicht hören, was ihm ins Ohr gesagt wurde, aber sie sah ihn nicken.
„Schick sie zu Anlegebucht sieben“, instruierte er seinen Untergebenen. „Und sag ihnen, dass es gut ist, sie wieder hier zu haben.“
„Entschuldigung“, sagte er einen Moment später zu Kahlee und den anderen. „Ich muss alle eintreffenden Schiffe genehmigen, bevor sie andocken können.“
„Musst du gehen?“, fragte sie.
Er schüttelte den Kopf. „Isli und ihre Mannschaft werden sie empfangen. Wir können weitermachen.“
„Und womit genau?“, fragte Hendel und schob Takt und Anstand beiseite. Kahlee konnte ihn verstehen, sie war auch schon beinah so weit. Glücklicherweise schien Mal bereit, völlig offen zu sein.
„Die Migrantenflotte stirbt“, sagte er geradeheraus. „Es ist ein langer, schleichender, fast unsichtbarer Tod, aber die Fakten sind unbestreitbar. Wir schlittern in eine Krise. In weiteren achtzig oder neunzig Jahren wird unsere Bevölkerung so groß sein, dass unsere Schiffe sie nicht mehr ernähren können.“
„Ich dachte, ihr hättet ein Nullwachstum in der Bevölkerung“, sagte Kahlee und erinnerte sich daran, wie Seeto die überall durchgesetzte Geburtenkontrollpolitik auf einem ihrer Spaziergänge auf den unteren Decks erläutert hatte.
„Unsere Bevölkerungszahl ist stabil, aber die Flotte ist es nicht“, erklärte der Kapitän. „Unsere Schiffe werden immer älter und gehen schneller kaputt, als wir sie reparieren oder ersetzen können. Nach und nach
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