Matilda - das Mädchen aus dem Haus ohne Fenster
diesem Moment, als meine liebe Mama rumbrüllt wie ein Bauarbeiter, da hört plötzlich der Regen auf! Da wird es viel heller, und die Sonne kommt raus. Ich lüge nicht. Die Sonne kommt raus, und der Regen hört auf.
Dann das nächste Wunder: Papa putzt die Fenster. Ungelogen. Er putzt Fenster! Und er pfeift dabei. Mama guckt ihm ganz komisch zu. Ich habe aber jetzt keine Zeit mehr für so was. Ich muss raus. Ich habe ja schließlich große Ferien. Jetzt scheint wieder die Sonne, und es kann endlich damit losgehen. Als ich um die Ecke komme, da sehe ich plötzlich ganz genau, warum es die letzte Woche so doll regnen musste! Das war auch wieder Schicksal. Ganz klarer Fall von Schicksal. Ich komme um die Ecke und sehe, was uns gefehlt hat. Die Baugrube von den Laufers.
Bis obenhin voll. Die Grube hat sich bis obenhin mit Regenwasser gefüllt und liegt da vor mir wie das Mittelmeer. Rundherum feinster, heller Sand. Die Ostsee ist dagegen pillepalle. Ich rase los. Ich trommle meine Freunde zusammen. Die sind vom vielen Regen auch schon ganz ungeduldig und bringen alles mit.
Badehose. Schnorchel und Taucherbrille. Flossen, Seeungeheuer. Muscheln und natürlich auch einen Schatz. Der ist ganz wichtig.
Sogar mein großer Bruder kommt mit. Aber logisch, der muss erst mal meckern.
»Das ist ja gar nicht das Mittelmeer«, stänkert er, und ich beschließe schon, dass wir ihn einfach nicht mitspielen lassen. Aber dann sagt er: »Das ist ja höchstens der Silbersee.«
Und das muss ich sagen: Silbersee klingt irgendwie besser als Mittelmeer. Sogar viel besser! Wir lassen meinen großen Bruder dann doch mitspielen, und er hat echt viele gute Ideen. Zum Beispiel die mit dem Schatz. Wer den Schatz beim Tauchen findet, der muss im Schlamm untergehen. Da bauen wir so ein kleines Extrabecken. Das sieht dann sehr gruselig aus, wenn das so blubbert beim Untergehen.
Am Schluss will keiner mehr den Schatz finden. Das ist Solidarität, wenn alle das Gleiche machen, hat uns Papa später erklärt. Aber vorher hat er noch mit uns geschimpft. Weil wir so wahnsinnig dreckig waren. Und da hab ich gesagt, das ist auch Solidarität. Weil wir ja alle so dreckig waren. Die ganzen Kinder aus dem Viertel. Alle, die nicht weggefahren sind. Die Kinder vom Silbersee halt.
Als die Bine von der Ostsee zurückkam, habe ich ihr natürlich alles erzählt. Erst hat sie lange nur so geguckt, aber dann hat sie gesagt, das nächste Mal, da bleibt sie auch zu Hause!
Übrigens ...
… ein bisschen traurig bin ich schon, weil jetzt ist Schluss mit lustig, jetzt komme ich bald in die Schule, und jetzt beginnt »der Ernst des Lebens«.
Das hat Oma gesagt, und sie hat gefragt, ob die Kinder heute in der Schule wieder Backpfeifen kriegen. Weil, ihr hat’s schließlich auch nicht geschadet.
»Da bin ich mir nicht so sicher«, hat Mama gesagt, und dann haben sie mich rausgeschickt.
Ich hab meinen Bruder danach gefragt, aber der spricht gerade nicht mit mir. Dabei wollte ich nur nett sein. Die im Fernsehen haben schließlich gesagt, dass Meerschweinchen am liebsten draußen an der frischen Luft sind. Gerade im Sommer. Und dass Schweinchen nicht zurückkommt, dafür kann ich ja nix. Das kann ja nur bedeuten, dass Schweinchen es draußen toller findet als bei ihm. Das verstehe ich sehr gut. Das geht mir ja genauso.
Dann habe ich noch meinen neuen Bruder gefragt, aber der kann ja noch gar nichts. Nicht mal sprechen. Bis der in die Schule kommt, da bin ich ja schon erwachsen und wohne in Afrika oder in der Südsee oder noch besser, in Meinerzhagen.
Weil, unser Hausmeister, der schaut immer, wenn es regnet,mit so ’nem knittrigen Gesicht in die Wolken, und dann sagt er: »Das kommt alles aus Meinerzhagen.«
Und das heißt dann ja wohl, dort ist das Wetter schön! Also, irgendwo da wohn ich dann. Wo es schön ist. Ist doch klar! Na, und bis es so weit ist, bleib ich hier und schau mal, was sonst noch so passiert …
Über die Autorin:
Ann-Kathrin Kramer ist Schauspielerin und Mutter. Sie lebt mit ihrer Familie im Bergischen Land und arbeitet dort an Drehbüchern und anderen eigenen Projekten. Nach einer Kurzgeschichte für Kinder ist Matilda ihr Kinderbuchdebüt.
Über die Illustratorin:
Heike Herold , geb. 1974 in Münster, studierte an der dortigen Fachhochschule mit dem Schwerpunkt Illustration. Sie lebt heute als freiberufliche Grafikerin und Illustratorin in Köln und hat bereits zahlreiche Bücher gestaltet.
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