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Matto regiert

Matto regiert

Titel: Matto regiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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dort so schmal, daß wir hintereinander gehen mußten. Ich ging voraus, hinter mir schritt der Portier, dann kam der Herbert, und Jutzeler marschierte am Ende. Ich blickte mich von Zeit zu Zeit um, aber Dreyer hatte den Kopf gesenkt. Es war dunkel. Links fiel das Ufer zum Fluß ab, rechts stieg ein Abhang in die Höhe, der mit dichtem Gebüsch bewachsen war. Plötzlich hör' ich Geräusche hinter mir, schwere Atemzüge, Trappen. Ich wende mich um: da halten sich Caplaun und der Portier umklammert und einer versucht den andern in den Fluß zu stoßen. Ich ruf' dem Jutzeler zu, er soll eingreifen, denn ich steh' selbst nicht sicher, ganz am Rande des Weges, unter meinen Sohlen bröckelt die Erde ab und Klumpen klatschen ins Wasser. Jutzeler rührt sich nicht. Er hat die Arme verschränkt, wie ihr jetzt, Herr Doktor, und sieht dem Kampf zu… Es ging dann alles sehr schnell. Ich hatte gerade wieder festen Fuß gefaßt, da seh' ich, wie der Dreyer den rechten Arm freimachen kann, er holt mit der Faust aus und trifft den Caplaun unter das Kinn… Der Herbert stürzt rücklings ins Wasser – ihr könnt es mir glauben oder nicht, Herr Doktor, aber in diesem Augenblick hab' ich an den alten Direktor denken müssen, der rücklings hinuntergefallen ist… Es kam mir vor… wie – ja, wie… ein Gottesgericht… Vielleicht hätt' ich den Caplaun auffangen können, aber dann wär ich sicher mit ihm in den Fluß gestürzt… Man denkt unglaublich schnell in solchen Augenblicken, Herr Doktor… Ich hab' mich nicht gerührt… Ihr müßt wissen, ich kann schlecht schwimmen… Der Caplaun ist gleich untergesunken… Er hat nicht geschrieen… Der Schlag hatte ihn betäubt… Wir beide, der Jutzeler und ich, haben dann den Dreyer gepackt und ihn nach Randlingen geführt… Ich hab' dann Weisung gegeben, daß man ihn heut' morgen nach Bern transportiert…«
    Schweigen. Und in das Schweigen hinein schrillte plötzlich das Tischtelephon. Dr. Laduner stand auf, meldete sich, reichte dann Studer den Hörer.
    »Man will Sie sprechen, Studer. Ich glaub, es ist der Postenchef vom Bahnhof Bern…«
    Studer lauschte schweigend, sagte dann »Gut!«, legte vorsichtig den Hörer auf die Gabel und wandte sich um. Sein Gesicht war bleich.
    »Was ist passiert, Studer?« fragte Dr. Laduner.
    »Bei einem Fluchtversuch ist Dreyer in einen Camion gelaufen. Er ist überfahren worden… Tot…«
    Dr. Laduner schien noch zu lauschen, trotzdem das Wort ›tot‹ schon eine ganze Welle verklungen war.
    Dann entstand das Maskenlächeln wieder um seinen Mund; er legte den Zeigefinger der Linken auf den abgespreizten Daumen der Rechten:
    »Erstens der Direktor«, sagte er, dann berührte der Finger die Spitze des rechten Zeigefingers: »Zweitens der Gilgen…« Nun kam der Mittelfinger an die Reihe: »Drittens Herbert Caplaun…« und dann der Ringfinger: »Viertens der Portier Dreyer… Es wird besser sein, Sie geben den Fall auf, sonst langen die Finger der beiden Hände nicht mehr zum Aufzählen… Aber vielleicht ist es doch besser so…« Er schwieg, tastete mit den Händen nach dem Verband, der seinen Kopf umgab, rückte ihn zurecht und sagte abschließend: »Fast wäre ich der fünfte gewesen…«
    »Aber Ernscht!« rief Frau Laduner ängstlich und griff nach der Hand ihres Mannes.

Das Lied von der Einsamkeit
    Laß gut sein, Greti«, sagte Laduner ruhig, stand auf und begann im Zimmer auf und ab zu gehen. Schließlich blieb er vor Studer stehen, verschränkte wieder die Arme über der Brust: »Sie haben mich noch nicht nach den Toten im U 1 gefragt, Wachtmeister… Was ist nun Ihr Urteil über mich? Bin ich ein Arzt, der an den ihm anvertrauten Kranken gefährliche Experimente wagt? Oder was meinen Sie?«
    Studer riß sich zusammen. Er versuchte, den Arzt fest anzublicken, doch mißlang ihm dies. So sprach er gegen den Boden: »Das ist wohl Sache eurer ärztlichen Verantwortung und geht mich Laien nichts an…« meinte er.
    »Gut pariert, Studer!« Laduner nickte anerkennend. »Aber ich bin Ihnen nun doch auch eine Aufklärung schuldig. In unserer Anstalt ist der Typhus endemisch – das heißt, er läßt sich nicht ganz ausrotten… Immer wieder, von Zeit zu Zeit, treten, trotz allen Vorsichtsmaßnahmen, einzelne Fälle auf; dann erlischt die Krankheit wieder, um nach Monaten oder nach Wochen wieder aufzuflackern… Ich hatte nun beobachtet, daß einige hoffnungslose Fälle, Verblödete, Katatone, nach der Überstehung einer Typhusinfektion sich

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