Maxi "Tippkick" Maximilian
ins Schloss – „ka-lack“. Mein Vater tippte mit dem Zeigefinger ungeduldig gegen den Hörer, und am anderen Ende der Leitung holte Herr Hochmuth tief Luft. Gleich würde ihm mein Vater den Startschuss für seine Petzerei erteilen. Mein Herz pochte und donnerte an meinem Hals: „B-Bumm! B-BUMM!“ Und mein Atem brauste in meinem Kopf: „SCHHHHHH!“ So stellte ich mich auf den Treppenabsatz und schaute zu meinem Vater in die Diele hinab.
„Also, bitte, was ist?“, befahl er in den Hörer hinein.
Herr Hochmuth röchelte erschrocken. Er wäre an der eingeatmeten Luft beinah erstickt. Doch jetzt prasselte die Anklage gegen mich aus ihm heraus wie das Wasser aus einem Feuerwehrschlauch. Nur, dass es kein Wasser war, was Herr Hochmuth verspritzte. Es war Benzin: „... ja, und damit verweigert Ihr Sohn nicht nur die Leistung. Er untergräbt auch meinen Respekt. Und, was am schlimmsten ist: er macht sich vor den anderen Jungen zum Clown!“
Das letzte Wort entfachte die Zündschnur im Kopf meines Vaters.
„Ich danke Ihnen“, sagte er nur noch und hängte ein.
Dann hob er langsam den Kopf. Seine Augen griffen wie Traktorstrahlen nach mir. Ich spürte ihre eisernen Zangen, aber ich sah meinen Vater nicht an. Das konnte ich nicht. Ich schaute beschämt auf den Boden und wartete auf den Weltuntergang.
Endlose Sekunden verstrichen. Da vibrierte der Alarm seiner Armbanduhr. Er zerriss die Stille, als wär er der Glockenschlag vom Big Ben. Ich atmete auf. Es war 17 Uhr 20, und das war die Zeit, zu der mein Vater sich jeden Nachmittag ins Esszimmer zurückzog, um Zeitung zu lesen. Für genau 22 Minuten. Danach wurde die E-Mailbox gecheckt und danach die Börse. Erst nach dem Abendessen, zwischen 19 Uhr 43 und 19 Uhr 58, direkt vor der Tagesschau, standen die familiären Angelegenheiten auf seinem Programm. Und genau deshalb hatte mein Vater jetzt keine Zeit.
„Wir sprechen später darüber!“, sagte er, als hätte ich ihn nach dem Wetter gefragt. Doch der Klang seiner Stimme sagte viel mehr. Er sagte: „Das tust du mir nie wieder an!“
Dann ließ er mich stehen.
Ich stand da, als hätte er meine Seele vereist. Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Doch sobald er im Esszimmer war und die Tür hinter ihm zuschlug, rannte ich los. Ich hatte keine Zeit zu verlieren und – Gott sei Dank! – hatte ich auch schon zwischen 19 Uhr 43 und 19 Uhr 58 etwas vor. Schuhe, Jacke und Mütze lagen im Badezimmer bereit und nur 43 Sekunden später zwängte ich mich durch das Fenster aufs Garagendach hinaus. Von dort führte der alte Apfelbaum in die Freiheit hinab. Mein Fahrrad lehnte am Stamm. Ich sprang in den Sattel und sprintete los. Ich trampelte mir die Angst aus dem Leib. Fünf Minuten und 43 Sekunden brauchte ich bis zur Wiese am Fluss. Das war Weltrekord!
Winterlagerfeuer
Die anderen Wilden Kerle saßen bereits um das Feuer herum. Ich riss mein Fahrrad wie ein Pony auf dem Hinterrad hoch und hielt mit dampfendem Reifen und Atem vor ihnen an. Meine Augen glühten wie Kohlen tief unten im Bauch eines Bergs und mit ihnen fixierte ich Willi. Was hatte er vor? Was sollte mit den Wilden Fußballkerlen geschehen? Ich wollte nicht schuld daran sein. Nein, das wollte ich nicht, auch wenn ich den Wilde Kerle -Gruß auf dem Pausenhof nicht beantwortet hatte, und ich wusste, dass das großes Unglück bedeutet.
Doch Willi ließ sich überhaupt nicht beirren. Seelenruhig verteilte er die Stöcke, auf die er gigantische Würste aufgespießt hatte, und ganz zum Schluss bot er auch mir einen an.
„Komm!“, lächelte er. „Es ist kalt heute Nacht.“
Zögernd nahm ich sein Angebot an. Ich lehnte mein Fahrrad gegen den nächstbesten Baum und stellte mich vor das Feuer.
„Setz dich doch!“, schmunzelte Willi.
Doch das war leichter gesagt als getan. Der Kreis der Wilden Kerle war lückenlos und geschlossen. Besonders Rocce schaute mich feindselig an. Er war am abergläubischsten von allen.
„Na, was ist!“, raunte Willi. „Das ist Maxi „Tippkick“ Maximilian. Der Mann mit dem härtesten Schuss auf der Welt. Hat er sich in den sieben Tagen seit Silvester so sehr verändert, dass ihr ihn nicht mehr kennt?“
Ich schaute verlegen auf meine Schuhe. Ich hätte so gerne etwas gesagt: ,Natürlich. Sie haben Recht.‘
Das hätte ich zu gern gesagt.
,Ich bin stumm. Wirklich stumm. Merkt ihr das nicht?‘
Aber wie sollte ich das? Denn gleichzeitig wünschte ich mir, dass keiner was merkt. Ich wollte nicht anders sein. Ich
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