Maya und der Mammutstein
nicht unberührt gelassen. Er allein wußte, wie spärlich die Erinnerungen an ihr früheres Leben waren, doch dieser Mangel erschien ihm eher wie ein Vorzug. Manchmal träumte sie, doch beim Erwachen entsann sie sich nie daran, was ihren Schlaf so gestört hatte. Karibu fragte sich, wer
>Zauber<, >Blüte< und >Knospe< wohl sein mochten. Diese beiden letzten Namen kannte er sehr gut, denn Mayas schlimmste Alpträume schienen mit ihnen zusammenzuhängen - zumindest waren es diese Namen, die sie aus dem Schlaf hochschrecken ließen, mit weitaufgerissenen und verängstigten Augen, schweißbedeckt. Doch wenn er sie im Tageslicht nach ihnen fragte, schüttelte sie nur den Kopf und behauptete, daß sie es nicht wüßte.
Er hoffte, daß der unvermeidbare Tod dieser drei Männer ihres Volkes nicht Anlaß zu weiteren Alpträumen geben werde, fürchtete jedoch, daß dem so sein könnte.
Allmählich wurde Faust seiner Spielchen überdrüssig - Karibu bemerkte erste Anzeichen, die in diese Richtung wiesen. Dann würde bald das Feuer in der Grube entfacht werden. Maya war nie Zeugin eines Großen Opfers geworden; wenn es schon Karibu vor Abscheu und Ekel elend und schwach
machte, ihn, den diese Grausamkeiten sein Leben lang verfolgt hatten, was würde es dann bei seiner armen Frau anrichten? Besonders, wenn die Opfer Menschen waren, die sie einst gekannt hatte. Würde der Schock zu groß sein und die Erinnerungen zurückbringen, von denen er hoffte, sie seien für immer verloren?
Vielleicht gelingt es ihnen zu entkommen, dachte er und warf wieder einen flüchtigen Blick auf die drei Männer. Ein müßiger Gedanke, und nun, da er sie genauer betrachtete, ein abwegiger dazu. Der erste Mann, der große, der sich Speer nannte, war dem Tod nahe. Schlaff und bewußtlos hing er an seinem Pfahl, von Kopf bis Fuß von seinem eigenen Blut besudelt.
Der zweite, dessen Name Maya ihm mit Stein angegeben hatte, war nicht viel besser dran. Faust hatte ihn nicht so lange wie Speer gequält, war dafür mit mehr Brutalität zu Werke gegangen. Zwei Finger von Stein waren abgeschnitten, seine Zähne ausgeschlagen, und ein Augapfel war aus seiner Höhle getreten und hing auf seiner Wange. Auch er war ohne Bewußtsein.
Nun widmete sich Faust dem dritten, dem jungen Mann. Karibu bezweifelte, daß er diesen dort übel zurichten würde, ahnte er doch, was in Faust vorging: Der jüngste Gefangene würde ein gutes Opfer sein. Er war stark und würde noch lange leben, während das Fleisch bereits von den Knochen schmolz und seine Schreie als kostbare Geschenke zum Gott der Schlangen emporgellen würden.
Nein, sie können nicht entkommen, dachte er. Nicht einmal mit meiner Hilfe. Er fragte sich, ob er es irgendwie würde verhindern können, daß Maya Zeuge ihrer Vernichtung würde, fürchtete jedoch, daß Gebrochene Faust dies nicht dulden würde. Wenn Maya voll und ganz ins Volk der Bisons aufgenommen werden wollte, mußte sie auch voll und ganz an ihrem Leben teilhaben - einschließlich dieser Rituale, die jenem schrecklichen Geist, der über sie herrschte, so großes Vergnügen bereiteten.
Die Marter dauerte nun schon so lange, daß der Großteil des Volkes das Interesse verloren hatte. Ein paar Frauen standen noch mit gierigen Augen nahe dabei, und wieder einmal dachte Karibu, daß Frauen erbarmungsloser waren als Männer. An dem verzückten, hungrigen Ausdruck auf ihren Zügen konnte er ablesen, daß diese Frauen, gäbe man ihnen die Gelegenheit, die Gefangenen viel gräßlicher verstümmeln würden, als Faust es getan hatte.
Das wußte auch der Schamane. Er wandte sich um und scheuchte eine der Frauen davon, die ihm zu nahe gekommen war, eine scharf gezackte Muschel in der erhobenen Hand.
Die Männer hatten sich zum größten Teil entfernt. Karibu erblickte Ratte unten am Fluß, wo dieser einen langen Lederrie men einweichte. Karibu war eben im Begriff, auch zum Fluß hinunterzugehen, als die bemalten, heulenden Gestalten über die Hügel quollen, die das Lager umschlossen.
Ein Speer, mit ihm unerklärlicher Kraft geschleudert, durchbohrte den Nacken der Frau mit der Muschel und drang in einem Sturzbach purpurnen Blutes wieder aus ihrer Kehle heraus.
Die Frau stürzte auf die Knie, den Mund zu einem stummen Schrei verzerrt, und schon war ihr Todeskampf vorüber.
Maya hörte ein wirres Durcheinander von Brüllen und Rufen, doch es war, als käme dies alles aus einer anderen Welt. Es hatte nichts mit ihr zu tun. Das einzige, was nun noch
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