Maya und der Mammutstein
zählte, war die winzige geschnitzte Figur in ihrer Hand.
Zuerst hatte sie ihr gar nichts bedeutet. Sie hatte nur die Wärme gespürt, die sie verströmte, und den Blick nicht abzu wenden vermocht. Dann, als sie zu zittern begann, bewegten sich ihre Lippen schwach.
»Wolf«, wisperte sie. »O Große Mutter!«
Unwillkürlich tastete Karibu nach seinem Speer, um dann feststellen zu müssen, daß er ihn gar nicht bei sich trug. Die Waffe lehnte immer noch neben dem Eingang seines Zeltes. Karibu hastete in diese Richtung, erkannte dann, daß der Weg zu weit war. Er sah sich nach einer anderen Waffe um, eilte zum Rande
der Grube, wo Zweige und Holzscheite aufgeschichtet lagen. Er griff nach einem Holzscheit, das so lang und so dick war wie sein Bein. Mit wild verzerrten Zügen stürzte er sich ins Kampfgetümmel.
Die Angreifer strömten über den Rand des Abhangs, manche schleuderten ihren Speer mit Hilfe einer seltsamen, einem Stock ähnlichen Vorrichtung, andere hielten ihre Waffen beim Anstürmen umklammert. Erst dachte er, daß es unzählige seien, doch dann erkannte er, daß die Schar überschaubar war. Viermal die Finger seiner Hände an Angreifern, höchstens sechsmal. Einige Männer und Frauen seines Stammes waren zu Boden gegangen, von scharfen Speerspitzen durchbohrt. Ein leises Knurren brodelte in Karibus Kehle. Den Geschossen ausweichend, stürzte er sich in den Kampf. Die nun unbewaffneten Speerwerfer bückten sich nach Steinen, um sie den Bisonmenschen entgegenzuschleudern.
Ratte war plötzlich an Karibus Seite und schwang seinen Speer. »Laß sie näher rankommen!« brüllte er ihm zu, gegen den ohrenbetäubenden Lärm anschreiend. »Geh zur Seite!«
Karibu nickte. Noch mehr Männer scharten sich um ihn und Ratte, und er führte sie an. »Da lang! Da rüber!« brüllte er und schwang seine Keule.
Als er sich wieder dem Kampf geschehen jenseits der drei Pfähle zuwandte, an die die Gefangenen gefesselt waren, bot sich Karibu ein seltsamer und beängstigender Anblick: Der größte der drei Gefangenen, derjenige, den sie Speer nannten, erlangte das Bewußtsein wieder. In seinen Augen glomm der Wahnsinn. Seine Muskeln spannten, entspannten, spannten sich. Das Blut strömte aus zahlreichen Wunden, als er mit einer übernatürlichen Kraftanstrengung die Lederriemen zerriß, mit denen seine Beine gefesselt waren. Dann hob er den langen Pfahl aus dem Boden, beugte sich vor und rannte, den Pfahl auf dem Rücken geradewegs auf Karibu und die anderen zu.
Karibu an der Spitze vermochte noch zur Seite auszuweichen. Ratte hinter ihm hatte nicht so viel Glück; Karibus massiger Körper hatte Ratte daran gehindert, Speers Angriff richtig einzuschätzen. Der gigantische Pfahl erwischte ihn in Schulterhöhe und schleuderte ihn beiseite wie eine Fliege. Karibu hörte und sah, daß Ratte die Schulter brach, als er zu Boden ging. Ohne nachzudenken, ergriff Karibu Rattes Speer; mit einer richtigen Waffe fühlte er sich besser.
Speer stand nun inmitten eines Kreises, den Bisonjäger um ihn bildeten, wirbelte um die eigene Achse und sang. Die Jäger versuchten, sich Speer zu nähern, doch ohne Erfolg. Zwei fie len, von dem Pfahl getroffen, vor Karibus Augen zu Boden; der eine war nur verletzt, doch der Schädel des anderen war aufgesplittert, und seine graue Hirnmasse spritzte auf die Erde.
Karibu warf einen flüchtigen Blick zurück über die Schulter. Die Angreifer waren nunmehr fast bis zur Mitte des Lagers vorgestoßen. Die Frauen stoben vor ihnen davon; nur ein paar vereinzelte Bisonmänner stellten sich ihnen in den Weg und wurden niedergemacht.
Die Kräftigsten der Jäger waren mit Speer beschäftigt. »Laßt ihn!« brüllte Karibu. Seine dröhnende Stimme erregte ihre Aufmerksamkeit. Er wies zu den anderen Feinden hin. »Dort lang! Haltet sie auf! Ich kümmere mich um diesen hier!«
Und die Männer gehorchten.
»Komm, Jäger!« rief Karibu. »Ich töte dich!«
Speer verstand zwar die Worte nicht, dafür begriff er, was Karibu von ihm verlangte. Mit der Kraft des Wahnsinns sammelte er seine letzten Reserven, hob den Pfahl wieder in die Höhe und stürzte sich auf Karibu.
Rosiger Schaum bedeckte seine Lippen, als er wild brüllte.
Karibu wartete so lange, bis er sicher sein konnte, daß Speer seine Angriffsrichtung nicht mehr ändern konnte. Dann schwang er sich, kurz bevor die Pfahlspitze seine Magengrube berührte, zur Seite. Er spürte einen tödlichen Luftzug an sich vorbeizis chen. Dann stolperte Speer,
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