Maya und der Mammutstein
Das leise Knistern und Knacken des Feuers beruhigte sein müdes Hirn. Der Kopf sank ihm auf die Brust, seine Augen fielen zu.
Der Traum erfaßte ihn mit der vollen Wucht eines Donnerschlags.
Alter Zauber fand sich wieder, wie er wanderte, wanderte. Um ihn herum erstreckte sich unendliches, ebenes Land, mit einem dichten Teppich hellgrünen Grases bedeckt. Hier und da leuchteten Flecken von grellem Blau in dem Gras. Ein Lächeln des Wiedererkennens glitt über seine Züge; diese winzigen Blümchen hießen >Maya< und waren die Namengeber des kleinen Mädchens. Als er sie erblickte, wußte er, daß er träumte, denn er kannte diese Blumen nur aus der Traumzeit.
Er ging immer weiter. Er wußte nun, was als nächstes kommen würde.
In der Ferne machte er eine Ansammlung von Gestalten aus. Als er sie erblickte, begriff er, daß er in einem Großen Traum war, denn diese Gestalten erschienen nur in Zeiten lebenswichtiger Entscheidungen für das Volk. Verschwommen fragte er sich, was sie auf den Plan gerufen haben mochte. In den vergangenen Jahren war ihr Leben bemerkenswert ruhig verlaufen, und obwohl ihn gewisse Veränderungen, die ihm nicht entgangen waren, beunruhigten, waren sie doch nicht zu Problemen geworden.
Schließlich näherte er sich den Gestalten so weit, daß er ihre Züge erkennen konnte. Die Frau, die die anderen anführte, hob ihre rechte Hand zum Gruß und lächelte ihm zu. »Frieden, Bruder«, sprach sie mit sanfter Stimme. Es war seltsam. Ihre Lippen bewegten sich, aber es war kein Laut zu hören. Es war eher so, daß die Worte direkt in seinem Kopf Gestalt annahmen.
Als er ihr das erste Mal begegnet war, damals in seiner Jugend, hatte er geglaubt, es sei die Große Mutter selbst, doch allmählich war er zu dem Ergebnis gekommen, daß sie es nicht war. Die Große Mutter würde, selbst in seinen Träumen, nie mals zu einem Mann sprechen. Diese Frau aus der Traumzeit war nur ihre Magd - obgleich ihre Macht der seinen so weit überlegen war wie die seine der der Tiere der Erde.
Möglicherweise war sie ein mächtiger Geist, doch da sie nie über sich selbst sprach, konnte er sich dessen nicht sicher sein. Nichtsdestotrotz lächelte er zurück und erwiderte: »Frieden sei auch mit dir, Schwester.«
Unmittelbar hinter ihr ragte ein riesiges weibliches Mammut auf, das ihn friedfertig über die gigantischen Bögen seiner Stoßzähne hinweg betrachtete. Neben Mammutmutter erhob sich die riesige Gestalt eines weiblichen Bisons, einer Karibumutter, einer großen Wölfin, und schließlich, zur Linken der Frau, die furchteinflößende Gestalt einer Löwin.
Er erahnte noch andere Gestalten, unsichtbar für seine Augen, als schritte die Frau an der Spitze einer großen Streitmacht, von der er nur eins wußte: All jene, denen er auf dieser endlosen, wunderschönen Ebene gegenüberstand, waren weiblichen Geschlechts. Obwohl die Große Mutter entschieden hatte, sich ihm nicht zu offenbaren, waren ihre Kraft und ihre Macht doch allgegenwärtig.
Die Träume machten ihm angst, und doch erfüllten sie ihn gleichzeitig mit einer unaussprechlichen Ruhe.
Er verneigte sich leicht und wartete. Die Frau, deren eines Auge grün, eines blau blitzten, während sie sprach, deren Fin ger sanft eine geschnitzte Mammutfigur liebkosten, die an einem Lederriemen um ihren Hals hing, die jener, die er in der Sicherheit des Geisterhauses barg, glich und auch wieder nicht glich, übermittelte ihm die Warnung, die sie ihm zu geben hatte.
Er erwachte wieder, von Kopf bis Fuß mit Schweiß bedeckt, und sein Herz pochte vor Entsetzen. Seine Muskeln schmerzten, als er sich auf die Füße quälte und aus dem Geisterhaus hinaustaumelte; er hatte sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, sich irgendwelche Zeichen seiner Würde umzuhängen.
»Geist, Speer!« brüllte er. »Kommt her! Kommt auf der Stelle her!«
Maya erstarrte. Sie konnte sich nicht rühren. Der kalte, dro hende Blick von Löwenmutter lahmte sie, als wäre sie ein kleiner Vogel, den die Augen einer Schlange bannen. Vor ihr stöhnte Knospe leise auf.
Das Geräusch befreite Maya aus ihrer tödlichen Trägheit; ohne nachzudenken, streckte sie die Hand aus und riß Knospe zurück.
»Lauf! Lauf!«
Knospe strauchelte, als sie von dem Baumstamm auf die Erde sprang, doch Maya war sofort an ihrer Seite und packte sie und zerrte sie fort.
»Lauf!«
Die beiden kleinen Mädchen stolperten in das Gewirr aus Büschen und Farnen. Äste peitschten ihnen ins Gesicht. Dichte
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