Maya und der Mammutstein
Baumstamm, plötzlich vom Gewicht eines der Mädchen und dem von Mutter Löwe befreit, peitschte in hohem Bogen nach oben. Maya hatte keine Zeit, nachzudenken, ihren Griff zu verstärken, irgend etwas zu tun.
Der Stamm schnellte in die Senkrechte zurück, und Maya spürte, wie ihr Arme und Beine von der glatten Rin de gerissen wurden, und dann, ganz seltsam, flog sie.
Nur einen kurzen Augenblick lang. Dann krachte sie jenseits der Lichtung zu Boden. Irgend etwas prallte gegen ihren Kopf. Sie fühlte es jedoch nicht. Sie hatte schon das Bewußtsein verloren.
Mutter Löwe sah im Dunkeln des Unterholzes nur sehr schlecht, doch ihre scharfen Ohren und ihre noch schärfere Nase sagten ihr, daß die Jungen sich vor ihr und in Sicherheit befanden. Und ihr Geruchssinn nahm noch etwas anderes wahr.
Da. Sie wußte nicht, wie es dahingekommen war, aber es war da. Ihre Augen glühten wie Feuer, während sie sich langsam näher schlich.
Maya schlug die Augen auf und schüttelte benommen den Kopf. Die Bewegung ließ fürchterliche Schmerzwellen durch ihren kleinen Körper schießen. Sie wollte sich erheben, sank jedoch zurück gegen den Felsen, der ihren hohen Flug gebremst hatte.
Ein langer, böser Schnitt klaffte an ihrem rechten Arm, und das Fleisch lag bloß. Unaufhaltsam rann rotes Blut aus der Wunde, sickerte über ihr Handgelenk, tropfte von ihren Fin gern.
Zuerst wußte sie überhaupt nicht, was geschehen war. Dann ließ ein leises Fauchen sie entsetzt aufsehen, und die Erinnerung kehrte zurück.
»Ah...!« Mit offenem Mund starrte sie entsetzt auf den rie sigen Kopf, der weniger als drei Schritte von ihrem eigenen Gesicht entfernt war. Die großen grünen Augen von Mutter Löwe musterten sie ruhig, ganz ruhig.
Maya war es, als müsse ihr das Herz in der Brust zerspringen, als der große Höhlenlöwe sein Maul aufsperrte. Ein übelkeitserregender Gestank schlug ihr von diesen scharfen Zähnen entgegen, heiß und faulig. Mutter Löwes zwei riesige Reißzähne waren blutbefleckt - in diesem schrecklichen Moment, in dem die Zeit stillzustehen schien, sah Maya es ganz deutlich.
Sie tastete mit ihrem verletzten Arm nach einem Stein, einem Stock, nach irgend etwas. Schließlich schlössen sich ihre verzweifelt suchenden Finger um einen Felsbrocken von der Größe ihrer Hand. Langsam hob sie ihn hoch.
Mutter Löwe rührte sich nicht. Sie war verwirrt. Der Blutgeruch wecke den Tötungsinstinkt in ihr, aber irgendwie konnte sie sich nicht dazu überwinden, die Knochen jenes kleinen, übelriechenden Dings vor ihr zu zermalmen.
Dann senkte sich ein Nebel auf ihren Geist, und aus der Dunkelheit sprach eine Stimme zu ihr in Worten, die sie verstehen konnte. Die Stimme war unendlich besänftigend, unendlich mächtig:
»Deine Jungen sind in Sicherheit. Du bist in Sicherheit. Geh jetzt. Geh zurück zu deinem Lager. Geh. Ich werde mit dir sein. Geh.«
Mutter Löwe schüttelte das Haupt. Langsam klappte sie die Kiefer zu. Sie warf einen letzten Blick auf die winzige Gestalt, die schwächlich einen kleinen Stein vom Boden hob. Sie verspürte nicht mehr den tödlichen Zorn, der sie zuvor angetrieben hatte. Tatsächlich fühlte sie sich müde.
Sie würde sich zu ihren Jungen gesellen und danach ein Nickerchen machen.
Ein nettes Nickerchen, auf den sonnenwarmen Felsen vor der Höhle, in der sie mit ihren Jungen lebte. Aber an den Geruch dieses seltsamen Lebewesens würde sie sich erinnern. Die anderen zählten nicht. Sie waren tot. Dieses hier würde sie nie vergessen.
Mutter Löwe knurrte leise.
Aber das komische Ding reagierte nicht. Mutter Löwe verlor vollständig das Interesse. Sie wich ein paar Schritte zurück, um sich dann umzudrehen und in die Richtung zu springen, aus der sie die Stimmen ihrer Jungen vernahm.
Maya sank in sich zusammen. Sie fühlte sich plötzlich zu schwach, um auch nur zu atmen. Der Stein entglitt ihren Fin gern. Blut tropfte darauf.
Maya schloß ihre Lider. Die Dunkelheit kam fast augenblicklich; doch der Anblick von Mutter Löwe, von ihren gewaltigen Flanken, die sich hoben und senkten, die Erinnerung an ihren stinkenden, heißen Atem, diese Erinnerung wollte nicht verschwinden.
Sie würde ihr für immer bleiben.
Haut sah aus, als wäre er dem Tode nah. Er war nach den Maßstäben des Volks ohnehin nicht mehr jung, doch nun wirkte er zwanzig Sommer älter als noch wenige Sekunden zuvor.
Er stand über der blutigen Masse zerfetzten Fleischs in der Mitte der Lichtung und weinte. Oberhalb ihrer
Weitere Kostenlose Bücher